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Eros und Asche

Eros und Asche

Titel: Eros und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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hatte, um ihm seine bissige Kultiviertheit anzubieten. Er habe sie draußen vor dem Club fotografiert, nur ihr Gesicht vor der Hauswand, frühmorgens, ihren leicht offenen Mund, ohne den kleinsten dümmlichen Zug, was durch das Licht und die Kälte gekommen sei, und er habe ihr vom Bodensee erzählt, von der Gegend, die für uns vor allem Kampfgebiet gewesen sei, und die sie nur als süße Freizeitheimat kenne. Und ihr Konstanzer Singsang mit etwas rauer Stimme vom Rauchen und Trinken hätte ihn verrückt gemacht – weil man so was nicht fotografieren könne, sagte er, davon könne man nur erzählen. Und was war dann? fragte ich, und M. berichtete geradezu stolz, dass es diesen Club schon nicht mehr gebe, das Mädchen sonstwo sei, aber er habe die Fotos von ihren Augen und ihrem Mund, frühmorgens vor der Hauswand. Sie habe vor Erschöpfung gelächelt, und am Ende noch seine Frage, ob sie einen Freund oder eine Freundin in Berlin habe, und sie darauf: Nur die Kolleginnen im Büro. Freundschaften sterben immer mehr aus, sagte er und kam wieder auf das Mädchen, die offenbar mit Design zu tun hatte, und man hörte seine ganze Glückssucht heraus, sein Sehnen nach dem verlorenen Ganzen (Menschen), an dessen Stelle diese Sucht nach dem ganz und gar Einzigartigen trat, dem Blick und Lächeln dieser Unbekannten, morgens vor einem Club, den es am selben Abend schon nicht mehr gab.
    Telefonat mit einem Herrn vom Deutschen Akademischen Austauschdienst in Warschau wegen eines Erzählseminars, das der Autor demnächst dort halten soll, für junge Polinnen und Polen, die sich mit einer Geschichte auf Deutsch hervorgetan haben. Vorschlag des Autors: Die Teilnehmer sollen für das Seminar eine Seite schreiben, Titel: Ein Kuss (weil es leicht und schwer zugleich ist – jedem fällt dazu etwas ein, aber wie sagt man’s?). Danach Arbeit hinter heruntergelassenen Jalousien an der Novelle, und es gelingt sogar, einiges Handschriftliche in den Laptop einzugeben; über dem linken Brillenglas ein ovales Stück schwarzer Pappe, befestigt mit Tesafilm.
    Wenig Schlaf, das Auge irgendwie zittrig, als würde die Kunstlinse darin wie im Wind hin und her flattern, einen Versuch am Bildschirm gleich abgebrochen. Aber auch die Handschrift macht Mühe – ich fühle die Schrift mehr, als dass ich sie sehe, dennoch geraten die Worte lesbar, als sei die Hand ganz nah an den Gedanken. Und vermutlich liegt diese Nähe oder Willfährigkeit am Thema, aufgrund einer telefonischen Halbzusage für eine Lesung in der Buchhandlung Männerschwarm, Hamburg, anlässlich eines Jubiläums. Da ist noch immer ein Zögern, die Sache anzunehmen, nur weil der Aufgeforderte damals der erste war, der dort gelesen hatte (aus dem Buch mit dem mißverständlichen Autorenfoto von der schwermütigen Fotografin). Und trotzdem schon erste Notizen zu einem Vorwort für diese Veranstaltung, Schreiben als Form der Selbstüberredung.
    Nachmittags Begegnung mit einem Arzt, der einige Etagen unter meiner Arbeitswohnung seit langem seine Praxis hat. Er wohne seit kurzem auch in dem Haus, erzählt er, und man muss davon ausgehen, dass er in Scheidung lebt oder eine andere Katastrophe durchleidet, wie alle, die mit über fünfzig in dieses Haus ziehen. Der Neubewohner duzt den Altbewohner bei der Gelegenheit erstmals und erwähnt dessen längst abgesetzte Literatursendung im Fernsehen, die er gern gesehen habe, besonders jene mit dem Kardinal, der zu dem Buch mit der Nixe und dem einsamen Studenten (Lampedusa, Die Sirene ) befragt wurde. Aus und vorbei, sage ich (und versäume es, hinzuzufügen, dass mich in den Monaten der Ausstrahlung dieser Sendung die Leute im Haus, die den Mitwohner alle irgendwie als Schreibenden kennen, nach zwanzig Jahren angefangen hatten, auf das Freundlichste zu grüßen: auch vorbei – das eigentliche steuerfreie Honorar für den öffentlichen Selbstverkauf, M.s Begriff für jedes Verdingen an das von ihm verachtete Fernsehen).
    Am Abend des elften September hatte der Schreibende eine Lesung in Hannover (die er auch hielt, gegen den Rat des Veranstalters, vor einem Publikum, das wie zu einer abendlichen Messe erschienen war, Ablenkung und Hinlenkung in einem). Und am nächsten Morgen ein Abstecher nach Berlin für ein Treffen mit M. am Bahnhof Zoo; und ehe ich wieder zum Zug musste noch ein Gespräch auf der düsteren Halbetage zwischen der Durchgangshalle und den Gleisen. Wir standen vor dem Fotoautomaten und sprachen über das Fernsehen, nicht über

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