Eros und Evolution
Und so wie sie ein Geweih für den Kampf mit dem Rivalen im sexuellen Wettbewerb und einen Pfauenschwanz zum Zwecke der Verführung hat entstehen lassen, so ist die Psyche eines Mannes darauf ausgerichtet, Dinge zu tun, die sein Überleben gefährden, aber seine Chancen erhöhen, eine oder mehrere wertvolle Geschlechtspartnerinnen zu gewinnen. Testosteron selbst, Elixier aller Männlichkeit, erhöht die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten. Das stärker wettbewerbsorientierte Wesen eines Mannes ist das Ergebnis sexueller Selektion. Männer haben sich dahingehend entwickelt, gefährlich zu leben, denn der Erfolg im Wettstreit oder in der Schlacht führte oftmals zu mehr oder besseren sexuellen Eroberungen und zu mehr überlebenden Kindern. Wenn Frauen gefährlich leben, dann gefährden sie dadurch lediglich die Kinder, die sie bereits haben.
Ebenso ist die enge Verknüpfung von weiblicher Schönheit und weiblichem Fortpflanzungspotential (eine schöne Frau ist definitionsgemäß jung und gesund; im Vergleich zu älteren Frauen wird sie daher fruchtbarer sein und eine längere Fortpflanzungsspanne vor sich haben) eine Folge der sexuellen Selektion, die sowohl auf die männliche Psyche als auch auf den weiblichen Körper wirkt. Ein Geschlecht formt das andere.
Die Figur einer Frau gleicht deshalb einer Sanduhr, weil Männer das immer bevorzugt haben. Männer besitzen ein aggressiveres Wesen, weil Frauen dies immer bevorzugt haben (beziehungsweise aggressiven Männern erlaubt haben, andere Männer im Wettbewerb um Frauen zu übertreffen – das läuft auf dasselbe hinaus). Dieses Buch wird schließlich mit der erstaunlichen Theorie enden, daß der menschliche Intellekt selbst das Produkt sexueller Selektion und nicht der natürlichen Selektion zu verdanken ist. Heutzutage sind die meisten Evolutionsanthropologen der Ansicht, daß ein größeres Gehirn zum Reproduktionserfolg beitrug: Entweder indem es Männer in die Lage versetzte, andere Männer zu überlisten und auszubooten (und Frauen dazu, andere Frauen zu überlisten und auszubooten), oder indem es ursprünglich zur Werbung und zur Verführung eines Mitglieds des jeweils anderen Geschlechts eingesetzt wurde.
Die Entdeckung und Beschreibung der menschlichen Natur und dessen, wie sie sich von der Natur anderer Tiere unterscheidet, ist eine der interessantesten Aufgaben, die sich der Wissenschaft jemals stellten, gleichrangig mit der Jagd nach dem Atom, dem Gen und dem Ursprung des Universums. Und dennoch ist es eine Frage, vor der die Wissenschaft stets und ständig zurückgeschreckt ist. Die größten »Experten« zum Thema menschliche Natur, die unsere Spezies hervorgebracht hat, waren Menschen wie Buddha und Shakespeare – keine Wissenschaftler oder Philosophen. Die Biologen bleiben bei Tieren. Jene, die versuchen, die Grenze zu überschreiten, wie Edward Wilson von der Harvard University in seinem 1975 erschienenen Buch Sociobiology – The New Synthesis, werden politischer Motive bezichtigt und geschmäht. 15 Unterdessen vertreten die Humanwissenschaften die Auffassung, Untersuchungen an Tieren seien für Untersuchungen am Menschen bedeutungslos und es gebe nichts Derartiges wie eine universelle menschliche Natur. Die Folge ist, daß die Wissenschaft, die bei der Formulierung der Urknalltheorie oder der Entschlüsselung der DNA mit größter Umsicht und Gelassenheit bahnbrechende Erfolge erzielte, sich bei der Klärung dessen, was der Philosoph David Hume als die größte aller Fragen bezeichnete, so außerordentlich unbeholfen anstellt: Weshalb ist die menschliche Natur so, wie sie ist?
ZWEI
DAS MYSTERIUM
Sproß folgt auf Sproß in ewiggleichem Streben,
Im Sohn unsterblich wird des Vaters Leben.
Ein Jahr ums andere erhält sich so die Zunft,
Gleich im Gebaren, gleich auch an Vernunft.
Bis einst, genau wie junge Knospen bald schon nicht mehr zieren,
Und wie Insektenschwärme sich im Nichts verlieren,
Wachsende Sehnsucht sich im schwang’ren Eiter rührt
Und frommen Wunsch nach sanfterem Geschlechte schürt …
Erasmus Darwin,
The Temple of Nature, or the Origin of Society
Zog, die Marsianerin, lenkte ihr Fahrzeug vorsichtig in eine neue Umlaufbahn und bereitete sich auf den Wiedereintritt in eine Öffnung auf der erdabgewandten Seite des Planeten vor, der Seite, die noch niemand von der Erde aus gesehen hatte. Es war nicht das erste Mal, und im Augenblick war sie weniger nervös als vielmehr ungeduldig, endlich heimzukommen. Sie war lange
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