Eros und Evolution
auf der Erde gewesen, länger als die meisten Marsianer es dort aushielten, und sie konnte ein ausgiebiges Argonbad und ein Glas Chlor kaum erwarten. Es würde schön sein, die Kollegen wiederzusehen. Und ihre Kinder. Und ihren Ehemann – sie ertappte sich selbst und begann zu lachen. Sie war so lange auf der Erde gewesen, daß sie sogar begonnen hatte, selbst wie ein Erdling zu denken. Ehemann, also wirklich! Jeder Marsianer wußte, daß Marsianerinnen keine Ehemänner haben. Auf dem Mars gab es so etwas wie Sex nicht. Zog dachte voller Stolz an den Bericht in ihrem Rucksack: »Leben auf der Erde: Die Aufklärung des Reproduktionsmysteriums«. Das war das Beste, was sie je geleistet hatte, nun konnte man ihr die Beförderung nicht mehr verweigern, was auch immer Big Zag sagen mochte … Eine Woche darauf öffnete Big Zag die Tür zum Konferenzraum des Komitees der »Earthstudy Inc.« und befahl der Sekretärin, Zog hereinzuschicken. Zog trat ein und nahm auf dem ihr zugewiesenen Stuhl Platz.
Big Zag vermied es, ihr in die Augen zu sehen, räusperte sich und begann:
»Zog, das Komitee hat Ihren Bericht sehr sorgfältig gelesen, und ich glaube sagen zu können, daß wir alle von seiner Gründlichkeit beeindruckt sind. Sie haben mit Sicherheit einen eingehenden Überblick über die Fortpflanzung auf der Erde gegeben. Vielleicht mit Ausnahme von Miss Zeeg hier, sind wir darüber hinaus übereinstimmend der Ansicht, daß Sie damit einen überwältigenden Beweis für Ihre Hypothese geliefert haben. Ich betrachte es nunmehr als zweifelsfrei erwiesen, daß das Leben auf der Erde sich in der von Ihnen beschriebenen Weise fortpflanzt und sich dazu dieser merkwürdigen Erfindung namens ›Sexualität‹ bedient. Weniger glücklich sind einige Komiteemitglieder allerdings mit Ihrer Schlußfolgerung, daß viele der besonderen Facetten jener Erdlingspezies, die man auch als Menschen bezeichnet, eine Konsequenz dieser Sache namens Sexualität sein sollen: eifersüchtige Liebe, Sinn für Schönheit, männliche Aggressivität, sogar das, was sie lächerlicherweise als Intelligenz bezeichnen.« Das Komitee kicherte beifällig über diesen alten Witz. »Aber«, sagte Big Zag plötzlich sehr laut, wobei sie von dem vor ihr liegenden Artikel hochblickte, »wir haben eine große Schwierigkeit mit Ihrem Bericht. Wir sind der Ansicht, daß Sie es versäumt haben, den interessantesten Aspekt des Ganzen anzusprechen. Es ist eine höchst einfache Frage, bestehend aus fünf Buchstaben.« Big Zags Stimme triefte vor Sarkasmus: » Warum? «
Zog stammelte: »Was meinen Sie mit ›Warum‹?«
»Ich meine: Warum gibt es bei den Erdlingen Sexualität? Warum klonen sie sich nicht selbst, so wie wir? Warum benötigen sie zwei Geschöpfe, um ein Baby zu bekommen? Warum um alles in der Welt gibt es Männer? Warum? Warum? Warum?«
»Oh«, erwiderte Zog rasch. »Ich habe versucht, eine Antwort auf diese Frage zu erhalten, bin damit aber nicht sehr weit gekommen. Ich fragte einige Menschen, Leute, die sich mit dem Thema über viele Jahre hinweg beschäftigt haben. Sie wußten es nicht. Sie hatten einige Vermutungen, aber jede davon war anders. Die einen sagten, Sexualität sei ein entwicklungsgeschichtlicher Zufall gewesen, andere hielten es für eine Methode, Krankheiten abzuwehren. Manche waren der Ansicht, es habe mit der Anpassung an Veränderungen und einer rascheren Evolution zu tun. Wieder andere meinten, es sei eine Möglichkeit, Gene zu reparieren. Im Grunde aber wußte es keiner wirklich.«
» Wußte keiner? «Big Zag explodierte. »Wußte keiner? Das bedeutsamste Merkmal ihrer gesamten Existenz, die spannendste Frage über das Leben auf Erden, die jemals gestellt worden ist, und sie wissen es nicht? Zod sei uns gnädig!«
Von der Leiter zur Tretmühle
Welchen Zweck hat Sexualität? Auf den ersten Blick scheint die Antwort offensichtlich bis zur Banalität. Der zweite Blick aber läßt andere Gedanken aufkommen. Warum muß ein Baby das Produkt von zwei Leuten sein? Warum nicht von dreien oder von einem? Muß es dafür überhaupt einen Grund geben?
Vor ungefähr zwanzig Jahren änderte eine Gruppe einflußreicher Biologen ihre Ansichten über Sexualität. Hatten sie sie zunächst als logisch, unentbehrlich und sinnvoll zum Zwecke der Fortpflanzung erachtet, so wechselten sie nahezu über Nacht zu der Auffassung, daß es unmöglich sei, zu erklären, weshalb die Sexualität nicht völlig von der Bildfläche verschwunden sei. Sie schien
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