Eros und Evolution
halte alle derzeit vorhandenen Erklärungen für unbefriedigend, empfanden andere Wissenschaftler eine derartige intellektuelle Zimperlichkeit als absurd. Sexualität gibt es, so stellten sie fest, also muß sie irgendeinen Vorteil bieten. Wenn Biologen Tieren und Pflanzen erklären, daß sie mit asexueller Vermehrung besser dran seien, dann verhalten sie sich wie Ingenieure, die einer Hummel erklären, sie könne – theoretisch betrachtet – nicht fliegen. »Das Problematische an dieser Auseinandersetzung«, schrieb Lisa Brooks von der Brown University, »ist, daß die meisten Organismen mit sexueller Fortpflanzung sich der Konsequenzen offenbar nicht bewußt sind.« 3 Vielleicht gibt es in den existierenden Theorien hier und da ein paar Löcher – so die Zyniker –, aber glaubt ja nicht, daß wir Euch den Nobelpreis verleihen, wenn Ihr sie stopft. Außerdem: Warum muß Sexualität überhaupt einen Sinn haben? Vielleicht ist es einfach ein evolutionsgeschichtlicher Zufall, daß die Fortpflanzung auf diese Weise erfolgt, so etwas Ähnliches wie die Entscheidung, auf welcher Straßenseite man fährt.
Und doch verfügen sehr viele Geschöpfe nicht über Sexualität oder bedienen sich ihrer nur gelegentlich in einer Generation, in anderen jedoch nicht. Die Ururenkelin der jungfräulichen Blattwespe wird sich am Ende des Sommers sexuell fortpflanzen: Sie wird sich mit einer männlichen Blattwespe paaren und Junge haben, die eine Mischung aus beiden Eltern sind. Weshalb macht sie sich die Mühe? Dafür, daß Sexualität zufällig entstanden ist, scheint sie sich mit bemerkenswerter Ausdauer zu behaupten. Die Debatte ist nicht totzukriegen. In jedem Jahr warten Wissenschaftler mit einem neuen Strauß von Erklärungen auf, mit einer neuen Sammlung von Aufsätzen, Experimenten und Simulationen. Befragt man die beteiligten Forscher im einzelnen, so herrscht einhellige Übereinstimmung darüber, daß das Problem gelöst sei; nur hinsichtlich dessen, welche Lösung die richtige ist, sind sie sich uneinig. Der eine beharrt auf Hypothese A, ein anderer auf Hypothese B, ein dritter auf C, ein vierter auf allen dreien. Könnte es eine komplett andere Erklärung geben? Ich fragte John Maynard Smith, einen der ersten, der die Frage »Weshalb gibt es Sexualität?« gestellt hat, ob er der Ansicht sei, es bedürfe neuer Erklärungen: »Nein. Wir haben die Antworten. Wir können uns nur nicht auf sie einigen. Das ist alles.« 4
Von Sexualität und freiem Handel
Bevor wir fortfahren, ist eine kurze genetische Begriffserklärung notwendig. Gene sind biochemische Rezepte, niedergeschrieben in einem Alphabet aus vier Buchstaben, das man auch als DNA bezeichnet – Rezepte für die Herstellung und den Betrieb eines Körpers. Ein normaler Mensch besitzt von jedem seiner 75000 Gene zwei Kopien in jeder Zelle seines Körpers. Alle 150000 menschlichen Gene zusammengenommen bezeichnet man als das Genom eines Menschen. Die Gene sind 23 Paaren fadenförmiger Strukturen zugeordnet, den sogenannten Chromosomen. Wenn ein Mann eine Frau befruchtet, dann enthält jedes seiner Spermien nur eine einzige Kopie jedes Gens, insgesamt also 75000 Gene auf 23 Chromosomen. Diese kommen mit den 75000 Genen auf 23 Chromosomen im weiblichen Ei zusammen und bilden so einen vollständigen menschlichen Embryo mit 75000 Genpaaren auf 23 Chromosomenpaaren.
In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Fachbegriff wichtig: Meiose.
Dabei handelt es sich grundsätzlich um den Vorgang, durch den der Mann »bestimmt«, welche seiner Gene im Spermium vorhanden sein sollen, beziehungsweise durch den die Frau »festlegt«, welche Gene im Ei vorhanden sein werden. Für den Mann stehen die 75000 Gene zur Wahl, die er von seinem Vater geerbt hat, oder die 75000 Gene von seiner Mutter oder, was wahrscheinlicher ist, eine Mischung aus beiden.
Im Verlauf der Meiose geschieht etwas Eigenartiges. Jedes der 23 Chromosomenpaare legt sich der Länge nach an sein Gegenstück. Durch einen Vorgang namens Rekombination werden Stücke des einen Satzes mit Stücken des anderen Satzes ausgetauscht. Anschließend werden die Chromosomenpaare in Einzelchromosomen getrennt und auf verschiedene Keimzellen aufgeteilt, man bezeichnet dies als Segregation. Ein einfacher Chromosomensatz von einem Elternteil wird dann bei den Nachkommen mit einem einfachen Chromosomensatz vom anderen Elternteil gepaart.
Das wesentliche Kriterium der Sexualität ist also der Austausch von Genen. Das heißt, daß ein
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