Eros und Evolution
sich in ungefähr demselben Stadium wie die Erforschung des menschlichen Genoms, welche sich wiederum etwa in demselben Stadium befindet wie die Kartierung der Welt zu Zeiten Herodots. Wir wissen eine Menge über einige Bruchstücke, bei einigen umfassenden Abschnitten kennen wir die große Linie, aber es warten noch riesige Überraschungen auf uns, und wir werden jede Menge Fehler machen. Wenn wir uns von dem sterilen dogmatischen Streit über Angeborenes und Erworbenes endlich befreien können, werden wir in der Lage sein, alles übrige allmählich aufzudecken.
Doch so wie Mercator die relative Größe Europas und Afrikas erst dann korrekt bestimmen konnte, als ihm Längen- und Breitengrade zur Verfügung standen, so ist es für die Erforschung der menschlichen Natur unerläßlich, die Lebensweise anderer Tiere zu kennen. Es ist unmöglich, das Sozialverhalten eines Wassertreters, eines Beifußhuhns, eines See-Elefanten oder eines Schimpansen isoliert zu verstehen. Natürlich läßt sich jede dieser Verhaltensweisen bis ins kleinste Detail schildern: Die einen leben in Polyandrie, die anderen veranstalten eine Arenabalz, die dritten verteidigen Harems, und die letzten schließlich leben in Gruppen von oszillierender Zusammensetzung. Doch nur aus der Perspektive ihrer Entwicklung im Laufe der Evolution kann man wirklich verstehen, warum das so ist. Nur dann kann man den Einfluß verstehen, den unterschiedliche Investitionen beider Elternteile, unterschiedliche Lebensräume, unterschiedliche Ernährungsweisen und unterschiedliche historische Lasten für die Entwicklung ihrer jeweiligen Natur gespielt haben mögen. Es ist völliger Unsinn, den Vergleich mit anderen Tieren lediglich aus unserer leicht größenwahnsinnigen Überzeugung heraus zu scheuen, daß der Mensch das einzig lernende Geschöpf sei und sich selbst nach Lust und Laune entwickle. Somit glaube ich, mich nicht dafür entschuldigen zu müssen, in diesem Buch Menschen und Tiere vermischt zu haben.
Auch die Errungenschaften der Zivilisation haben nicht vermocht, uns vor engstirniger Überheblichkeit zu bewahren. Wir sind in der Tat ebenso domestiziert wie jeder Hund oder jede Kuh, vielleicht sogar in höherem Maße. Wir haben uns alle möglichen Instinkte weggezüchtet, die im Pleistozän Merkmale unseres Wesens gewesen sein müssen – ungefähr so, wie der Mensch den Kühen viele Merkmale des steinzeitlichen Auerochsen weggezüchtet hat. Aber kratzen Sie ein bißchen an der Oberfläche einer Kuh, und Sie werden noch immer den Auerochsen darunter finden: Eine Herde Milchvieh, die man in einem Wald freilassen würde, erfände vermutlich rasch erneut die polygame Herde, in der Männchen um ihren Rang kämpften. Hunde, die man sich selbst überläßt, werden noch immer zu territorialen Rudeln, in denen das ranghöchste Tier das Monopol über alle Weibchen hat. Eine Gruppe junger Briten, die man in der afrikanischen Savanne sich selbst überließe, würde vermutlich nicht zu der Lebensform ihrer Urahnen zurückkehren, vermutlich würden sie verhungern, so sehr sind wir über Jahrtausende hinweg auf kulturelle Traditionen von Nahrungserwerb und Lebensweise angewiesen gewesen, doch diese Leute würden auch keine ganz und gar nichtmenschliche soziale Umgebung schaffen. Wie alle Experimente mit alternativen Lebensformen wie Kommunen oder Organisationen wie Rajneeshpuram in Oregon gezeigt haben, erfinden alle menschlichen Lebensgemeinschaften Hierarchien und zersplittern zu sexuellen Beziehungen mit Besitzansprüchen.
Der Mensch ist ein Tier, das sich selbst domestiziert hat; ein Säuger, ein Menschenaffe, ein sozialer Menschenaffe; eine Affenspezies, bei der das Männchen die Initiative bei der Werbung übernimmt und bei der Weibchen die Lebensgemeinschaft, in der sie geboren wurden, in der Regel verlassen; eine Affenspezies, bei der die Männchen Räuber und die Weibchen allesfressende Sammler sind; eine Affenspezies, bei der die Männchen sich relativ hierarchisch und die Weibchen sich relativ egalitär verhalten. Eine Affenspezies, bei der die Männchen ungewöhnlich viel in die Aufzucht ihrer Jungen investieren, indem sie ihren Partner und ihren Nachwuchs mit Nahrung und Schutz versorgen und mit ihnen leben; eine Affenspezies, bei der die monogame Paarbindung die Regel ist, in der aber viele Männchen Affären haben und in der Männchen gelegentlich sogar polygam leben; eine Affenspezies, bei der Weibchen, die mit rangniederen Männchen verheiratet sind,
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