Eros und Evolution
der ihnen in dieser Zeit hilft – der Scheherazade-Effekt.
Miller stellt fest, der häufigste Einwand gegen diesen Effekt laute, die meisten Leute seien nicht geistreich und kreativ, sondern einfallslos und langweilig. Wohl wahr, aber im Vergleich wozu? Unsere Standards für das, was wir als unterhaltsam empfinden, haben sich – wenn Miller recht hat – ebenso rasch entwickelt wie unser Witz. »Ich glaube, kaum ein männlicher Leser wird sich vorstellen können, daß ein ein Meter dreißig großes, behaartes, flachbrüstiges Hominidenweibchen attraktiver gewesen sein soll als andere, ähnliche Hominiden«, schrieb mir Miller eines Tages (in bezug auf Lucy). »Wir sind verwöhnt, denn die sexuelle Selektion hat uns bereits so weit getrieben, daß wir es uns kaum vorstellen können, daß irgendein Punkt unserer Vergangenheit einst als Verbesserung betrachtet wurde. Merkmale, die vor einer halben Million Jahren noch als unwiderstehlich sexy gegolten haben, wirken heute auf uns abschreckend.« 55
Millers Überlegungen lenken die Aufmerksamkeit auf verschiedene Tatsachen, die von anderen Theorien unberücksichtigt geblieben sind: auf die Tatsache zum Beispiel, daß Tanz, Musik, Humor und sexuelles Vorspiel Merkmale sind, die allein dem Menschen eigen sind. Der Cosmides-Tooby-Logik zufolge können wir nicht so argumentieren, daß dies rein kulturelle Gepflogenheiten sind, die uns von der »Gesellschaft« aufgezwungen werden. Der Wunsch nach rhythmischer Musik und das Bedürfnis zu lachen sind uns angeboren. Er gibt zu bedenken, daß beide von dem Bedürfnis nach Neuheit und Virtuosität besessen und besonders stark im Jugendalter ausgeprägt sind. Von der Beatles-Manie bis zu Madonna (und bis zurück zu Orpheus) ist die sexuelle Anziehungskraft von Jugend und Musik ungebrochen. Sie sind universell menschlich.
Es ist von entscheidender Bedeutung für Millers Theorie, daß Menschen extrem wählerisch in bezug auf ihre Partner sind. Unter den Menschenaffen sind Menschen sogar insofern einzigartig, als dies für beide Geschlechter gilt. Ein Gorillaweibchen paart sich willig mit jedem »Besitzer« des Harems. Ein Gorillamännchen paart sich mit jedem beliebigen brünstigen Weibchen. Ein Schimpansenweibchen ist darauf aus, sich mit verschiedenen Männchen innerhalb der Truppe zu paaren.
Ein Schimpansenmännchen paart sich mit jedem paarungswilligen Weibchen. Frauen aber sind äußerst selektiv, wenn es um den Partner geht. Männer genaugenommen auch. Sie sind zwar leicht dazu zu bringen, eine Affäre mit einer jungen, schönen Frau einzugehen – aber genau das ist der Punkt. Die meisten Frauen sind weder jung noch schön, noch versuchen sie, fremde Männer zu verführen. Man kann kaum genug betonen, wie ungewöhnlich Menschen sich diesbezüglich verhalten. Bei manchen monogamen Vogelarten wie den Taubenvögeln suchen die Männchen die Weibchen in der Tat sorgfältig aus 56 , doch bei sehr vielen anderen Vogelarten sind die Männchen mit kurzen Affären mit x-beliebigen Weibchen zufrieden, wie uns die Indizien für die Spermienkonkurrenztheorie demonstriert haben (siehe Kapitel sieben). Obgleich ein Mann möglicherweise eine größere Vielfalt vorzieht als eine Frau, so kann er doch als eines der selektivsten Männchen überhaupt gelten.
Die Selektivität des einen oder des anderen Geschlechts ist sowohl die unabdingbare Voraussetzung als auch ein unfehlbarer Indikator für das Vorliegen von sexueller Selektion. Sobald das eine oder das andere Geschlecht begonnen hat, selektiv zu sein, lassen sich Fishers Selbstläuferhypothese der attraktiven Söhne oder der Zahavi-Hamiltons-Effekt der »guten Gene« einfach nicht umgehen. Somit sollten wir als Konsequenz der sexuellen Selektion auch beim Menschen eine Übertreibung des einen oder anderen Merkmals feststellen. 57
Nebenbei lenkt Millers Argumentationsweise die Aufmerksamkeit auf einen bislang nur wenig beachteten Aspekt der sexuellen Selektion: Sie kann beide treffen, das selektionierte Geschlecht und den Selektionierenden. Bei den amerikanischen Amseln zum Beispiel ist bei jenen Arten, bei denen das Weibchen groß ist, das Männchen sehr viel größer.
Dasselbe gilt für viele Säuger und Vögel. Bei Birkhühnern, Fasanen, Robben und Hirschen ergibt sich bei der größeren Art auch das größere Größenverhältnis zwischen Männchen und Weibchen. Eine vor kurzem durchgeführte Analyse dieses Effekts kommt zu dem Schluß, daß hierfür ein Prozeß der sexuellen
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