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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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Selektion verantwortlich ist: Je polygamer die Spezies, um so größer die Bedeutung der männlichen Körpergröße. Je mehr Wert die Weibchen bei der Auswahl der Männchen auf die Körpergröße legen, um so mehr Gene für die entsprechende Größe werden den Söhnen und Töchtern der Folgegeneration weitergegeben.
    Gene können zwar »geschlechtsgebunden« sein, in der Regel aber nur unvollkommen beziehungsweise nur dann, wenn für die Tochter ein großer Nachteil durch das entstehende Gen entstünde – wie im Falle von auffälligen Farben bei Vogelweibchen. Somit müßte die weibliche Selektion von Männern mit größerem Gehirn bei beiden Geschlechtern zu einem größeren Gehirn führen. 58

Jugendbesessenheit
    Ich bin der Ansicht, daß Millers Geschichte noch eine Prise Neotenie-Hypothese vertragen könnte (obgleich er selbst davon nicht überzeugt ist). Die Neotenie-Hypothese ist bei den Anthropologen in hohem Maße anerkannt. Die Feststellung, daß Menschen ihre Kinder in einer monogamen Beziehung aufziehen, ist unter den Soziobiologen weithin unumstritten. Bisher hat niemand die beiden zusammengeführt. Falls Männer begonnen hätten, Partnerinnen zu wählen, die allem Anschein nach jung waren, dann würde jedes Gen, das die Entwicklungsgeschwindigkeit erwachsener Merkmale bei einer Frau drosselte, die Betreffende attraktiver erscheinen lassen als jede ihrer Rivalinnen. Sie hinterließe damit mehr Nachfahren, die wiederum dieses Gen erbten. Jedes Neotenie-Gen aber würde eine Verstärkung jugendlicher Merkmale zur Folge haben. Mit anderen Worten: Neotenie könnte eine Folge der sexuellen Selektion sein, und da sie offenbar mit unserer zunehmenden Intelligenz in Zusammenhang steht (denn durch sie nahm die Gehirngröße im Erwachsenenalter zu), ließe sich auch unsere Intelligenz möglicherweise der sexuellen Selektion zuschreiben.
    Diese Vorstellung mag zunächst befremdlich erscheinen, ein Gedankenexperiment kann dem abhelfen. Stellen wir uns zwei Urzeitfrauen vor: Eine davon entwickle sich mit normaler Geschwindigkeit, die andere habe ein zusätzliches Neotenie-Gen, das ihren Körper unbehaart, ihr Gehirn groß und ihre Kiefer klein werden, sie spät zur Reife gelangen und länger leben läßt. Im Alter von fünfundzwanzig Jahren werden beide Witwe, jede hat ein Kind von ihrem ersten Mann. Die Männer im Stamm haben eine Vorliebe für junge Frauen, und fünfundzwanzig ist nicht jung, so daß beide kaum eine Chance auf einen zweiten Ehemann haben. Nun gibt es aber einen einzigen Junggesellen. Angesichts der beschriebenen Alternative wählt er die jünger aussehende Frau. Sie hat mit ihm drei weitere Kinder, ihre Rivalin hingegen hat Mühe, ihr einziges Kind großzuziehen.
    Die Details sind nicht von Belang. Was zählt, ist, daß sich in dem Augenblick, in dem Männer Jugend bevorzugen, ein Gen, welches das Auftreten altersbedingter Zeichen verzögert, auf Kosten anderer Gene ausbreiten wird, und genau das hat das Neotenie-Gen getan. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es gleichzeitig dazu führen, daß auch die Söhne dieser Frau ebenso wie die Töchter Zeichen von Neotenie aufweisen, denn es gibt keinen Grund, weshalb diese Wirkungen für das weibliche Geschlecht spezifisch sein sollten. Die gesamte Spezies würde so in die Neotenie getrieben.
    Christopher Badcock von der London School of Economics, dessen Interesse an Evolution auf ungewöhnliche Weise mit einem Interesse an Freud kombiniert ist, hat eine ähnliche Überlegung vorgestellt. Seiner Ansicht nach wird die Entwicklung neotener (oder, wie er es nennt, pädomorpher) Merkmale eher durch Weibchenwahl begünstigt als durch Männchenwahl. Jüngere Männer waren seinen Ausführungen zufolge die kooperativeren Jäger, so daß am Besitz von Fleisch interessierte Frauen dem jünger aussehenden Mann den Vorzug gaben.
    Das Prinzip ist dasselbe: die Entwicklung zur Neotenie als Konsequenz der Vorliebe eines der beiden Geschlechter für jugendliche Merkmale. 59
    Damit soll nicht geleugnet werden, daß ein größeres Gehirn auch Vorteile hinsichtlich der Entwicklung einer machiavellistischen Intelligenz, von Sprache oder Verführungskunst brachte. Sobald diese Vorteile deutlich in Erscheinung traten, wären Männer, die mit einer besonderen Vorliebe jung aussehende Frauen wählten, die erfolgreicheren, da sie auf diese Weise Frauen mit Neotenie-Merkmalen und einem größeren Gehirn wählten und somit intelligentere Kinder bekamen. Wir können damit jedoch

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