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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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dem antarktischen Kontinent. Sie sehen aus wie Kommas, angetrieben von einem Apparat auf der Vorderseite ihres Körpers, der einem kleinen Wasserrädchen ähnelt. Wenn ihr wässeriges Zuhause austrocknet oder zufriert, nehmen sie die Form eines Apostrophs an und begeben sich zur Ruhe. Dieser »Apostroph«, den man auch als Zyste bezeichnet, ist verblüffend widerstandsfähig gegen jegliche Form der Mißhandlung. Man kann ihn eine Stunde lang kochen oder eine Stunde lang bis auf ein Grad über dem absoluten Nullpunkt – das heißt bis auf -272° C – einfrieren.
    Er widersteht nicht nur dem Zerfall, er stirbt auch nicht. Nach dem Auftauen verwandelt sich die Zyste rasch in ein Rädertierchen zurück, das mit seinem Bugrädchen im Tümpel seines Wegs paddelt und sich von vorbeikommenden Bakterien ernährt. Innerhalb weniger Stunden beginnt es, Eier zu produzieren, aus denen neue Rädertierchen schlüpfen.
    Ein Egelartiges Rädertierchen kann einen mittelgroßen See innerhalb von zwei Monaten mit seinen Nachkommen füllen. Die Zysten werden als Staub so leicht auf dem Erdball herumgeweht, daß die Rädertierchen vermutlich regelmäßig zwischen Afrika und Amerika hin- und herpendeln.
    Außer diesen bemerkenswerten Leistungen hinsichtlich ihrer Widerstandsfähigkeit und ihrer Fruchtbarkeit gibt es noch etwas anderes Merkwürdiges an den Rädertierchen: Man hat noch nie ein männliches Egelartiges Rädertierchen gesehen. Soweit die Biologen heute wissen, ist jedes einzelne Mitglied jeder einzelnen der auf der Welt vorkommenden fünfhundert Bdelloidea-Arten weiblich. In ihrem Repertoire existiert Sex einfach nicht.
    Möglicherweise findet bei diesen Rädertierchen eine Durchmischung eigener und fremder Gene in der Art statt, daß sie tote Artgenossen fressen und einige von deren Genen absorbieren, oder auf ähnlich verrückte Weise. 1 Neuesten Forschungen von Matthew Meselson und David Welch zufolge gibt es bei den Rädertierchen aber keine sexuellen Vorgänge. Meselson und Welch haben festgestellt, daß das gleiche Gen bei zwei verschiedenen Individuen in bestimmten Bereichen, die keinen Einfluß auf seine Funktion haben, bis zu dreißig Prozent differieren kann – ein solches Maß an Verschiedenheit läßt darauf schließen, daß die Egelartigen Rädertierchen bereits vor vierzig bis achtzig Millionen Jahren auf die Sexualität verzichtet haben. 2
    Es gibt viele andere Spezies auf der Welt, die sich nie sexuell fortpflanzen, angefangen von Löwenzahn und Eidechsen bis zu Bakterien und Amöben, aber die Bdelloidea sind das einzige Beispiel für eine ganze Unterordnung von Tieren, denen sexuelle Gewohnheiten komplett abgehen. Vielleicht ist es eine Folge dieser Gegebenheit, daß die Bdelloidea alle ziemlich gleich aussehen, wohingegen andere Rädertierchen, die mit ihnen verwandten Monogononten, von sehr viel größerer Vielfalt sind: Sie decken das gesamte Formenspektrum der Satzzeichen ab.
    Nichtsdestoweniger, die Egelartigen Rädertierchen sind ein lebender Gegenbeweis für die traditionelle Weisheit der Biologie-Lehrbücher, die da lautet, daß es ohne Sexualität so gut wie gar nicht zur Evolution kommt und die Arten sich Veränderungen nicht anpassen können. Die Existenz Egelartiger Rädertierchen ist, um mit John Maynard Smith zu sprechen, »ein evolutionärer Skandal«. 3

Die Kunst, ein bißchen anders zu sein
    Wenn es zu keinem genetischen Fehler kommt, dann ist ein Baby-Bdelloid mit seiner Mutter identisch. Bei einem menschlichen Baby ist das nicht der Fall, was die wichtigste Konsequenz sexueller Vermehrung ist und den meisten Ökologen zufolge auch ihr Zweck.
    Im Jahre 1966 deckte George Williams den logischen Fehler im Herzen der Lehrbucherklärung zur Existenz von Sexualität auf. Er wies nach, daß sie von den Tieren verlangt, eigene kurzlebige Eigeninteressen zu ignorieren, um das Überleben und die Evolution ihrer Art zu fördern, eine Form von Selbstbeschränkung, die sich nur unter ganz besonderen Umständen in der Evolution entwickelt haben kann. Williams war sich zunächst sehr unsicher, was an ihre Stelle zu setzen sei. Ihm war jedoch aufgefallen, daß Sexualität häufig mit der Form der Verbreitung in Zusammenhang zu stehen schien. Gras zum Beispiel breitet sich lokal durch vegetative (asexuelle) Wurzelausläufer aus, seine durch sexuelle Vorgänge entstandenen Samen jedoch überläßt es dem Wind zur weiteren Verbreitung. Blattläuse mit sexueller Vermehrung haben Flügel, sich asexuell

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