Eros und Evolution
vermehrende hingegen nicht. Das legt folgende Überlegung nahe: Wenn Ihre Jungen weit reisen müssen, ist es besser, sie sind sehr anpassungsfähig, denn anderswo ist es vielleicht nicht so wie zu Hause. 4
Die Ausarbeitung dieses Denkansatzes war in den siebziger Jahren die Hauptbeschäftigung der am Thema Sexualität interessierten Ökologen.
Im Jahre 1971 stellte John Maynard Smith die Hypothese auf, Sexualität werde vielleicht für solche Fälle gebraucht, in denen zwei verschiedene Lebewesen in einen neuen Lebensraum einwandern, weil die geschlechtliche Fortpflanzung in diesem Fall dazu beiträgt, beide Merkmale zu kombinieren. 5 Zwei Jahre später beteiligte sich Williams erneut an der Diskussion, und zwar mit folgendem Argument: Wenn die meisten Jungen sterben, was bei den Populationen, bei denen die Jungen ihr Glück in weiten Reisen suchen, tatsächlich der Fall ist, dann handelt es sich bei den Überlebenden vielleicht nur um die, die am besten angepaßt sind. Es interessiert also nicht im geringsten, wie viele Junge von durchschnittlicher Qualität ein Lebewesen produziert. Was wirklich zählt, ist, eine Handvoll Junge zu haben, die außergewöhnlich sind. Wenn Sie wollen, daß Ihr Sohn Papst wird, dann besteht der beste Weg dahin nicht darin, viele gleiche Söhne zu haben, sondern darin, viele verschiedene Söhne zu haben – in der Hoffnung, daß einer davon gut, gescheit und religiös genug ist. 6
Die allgemein gebräuchliche Analogie für das, was Williams beschrieb, ist eine Lotterie. Asexuelle Fortpflanzung ist vergleichbar mit dem Besitz vieler Lose mit derselben Nummer. Um eine Chance zu haben, die Lotterie zu gewinnen, brauchen Sie viele verschiedene Lose. Wenn also eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der Nachwuchs unter veränderten oder ungewöhnlichen Bedingungen zurechtkommen muß, dann dient Sexualität sowohl dem Individuum als auch der Art.
Williams war vor allem fasziniert von Organismen wie Blattläusen und den bereits erwähnten Monogononten, die sich nur alle paar Generationen sexuell fortpflanzen. Blattläuse vermehren sich im Sommer auf einem Rosenbusch, Rädertierchen in einer Pfütze auf der Straße. Wenn aber der Sommer zu Ende geht, vermehrt sich die letzte Blattlausgeneration ebenso wie die letzte Generation von Monogononten ausschließlich sexuell: Es werden Männchen und Weibchen produziert, die einander auswählen, sich paaren und zähe kleine Junge bekommen, die den Winter beziehungsweise die Trockenheit als verhärtete Zysten überstehen und die Wiederkehr besserer Bedingungen abwarten. Für Williams sah das ganz nach seiner Lotterie aus. Solange die Bedingungen günstig und vorhersehbar waren, zahlte es sich aus, sich so rasch wie möglich – also asexuell – zu vermehren. Wenn aber die kleine Welt ein Ende fand und die nächste Generation von Blattläusen oder Rädertierchen vor den Unsicherheiten einer neuen Heimat stand, dann zahlte es sich aus, Nachkommen von großer Vielfalt zu haben – in der Hoffnung, einer davon erweise sich als überlebensfähig.
Williams verglich das »Blattlaus-Rädertierchen-Modell« mit zwei anderen: dem »Erdbeeren-Korallen-Modell« und dem »Ulmen-Austern-Modell«. Erdbeerpflanzen und jene Tierchen, aus denen Korallenriffe bestehen, sitzen ihr Leben lang am selben Ort, senden jedoch Ausläufer aus beziehungsweise bilden Korallenzweige, so daß sich das Individuum und seine Klone allmählich in der näheren Umgebung ausbreiten. Wenn sie ihre Nachkommen jedoch auf der Suche nach einem neuen, noch unberührten Lebensraum sehr viel weiter verbreiten wollen, dann produzieren Erdbeeren durch sexuelle Vorgänge Samen, und Korallen produzieren, ebenfalls durch geschlechtliche Fortpflanzung, sogenannte Planula-Larven. Die Samen werden von Vögeln fortgetragen, und die Planula-Larven treiben tagelang mit den Strömungen auf dem Meer. Für Williams war dies eine räumliche Version seiner Lotterie: Wer am weitesten reist, trifft mit der größten Wahrscheinlichkeit auf andere Lebensbedingungen. Deshalb ist es am günstigsten, wenn die Nachkommenschaft sehr verschieden ist, wobei man stets die Hoffnung haben kann, daß ein oder zwei Sprößlinge der Umgebung, in die sie schließlich gelangen, angepaßt sind. Ulmen und Austern vermehren sich sexuell und produzieren Millionen winziger Nachkommen, die mit Wind und Strömung dahintreiben, bis einige wenige von ihnen das Glück haben, an einem geeigneten Ort zu landen und ein neues Leben
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