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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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zu beginnen.
    Warum das so ist? Weil – so Williams – sowohl Ulmen als auch Austern ihren Lebensraum bereits ausgefüllt haben. Es gibt nur wenige freie Stellen auf einer Austernbank und nur wenige Lichtungen in einem Ulmenwald. Jede freie Stelle wird Tausende von Bewerbern in Form neuer Larven oder Samen anziehen. Es spielt deshalb keine Rolle, ob ihre Jungen gut genug zum Überleben sind. Was zählt, ist, daß sie die Allerbesten sind. Sexualität erzeugt Vielfalt und läßt deshalb einige Nachkommen außergewöhnlich flexibel und andere eher kümmerlich werden, asexuelle Fortpflanzung hingegen macht sie alle durchschnittlich. 7

Die Tangled-Bank-Hypothese
    Williams’ These ist mit den Jahren in vielen Versionen, unter vielen Namen und mit etlichen genialen Drehs immer wieder auf der Bildfläche erschienen. Ganz allgemein lassen mathematische Modelle allerdings eher darauf schließen, daß solche Lotterie-Modelle nur dann funktionieren, wenn der Preis für das richtige Los tatsächlich ein riesiger Jackpot ist. Nur dann, wenn einige wenige der ausgesandten Nachkommen überleben und sich außerordentlich gut entwickeln, zahlt Sexualität sich aus. In anderen Fällen tut sie das nicht. 8
    Dieser Einschränkung wegen und weil die meisten Arten keine Jungen produzieren, die sich auf Wanderschaft begeben, machten sich nur wenige Ökologen die Lotterie-Theorie vorbehaltlos zu eigen. Doch erst als Graham Bell aus Montreal wie einst jener legendäre König mit dem Goldfisch darauf bestand, den tatsächlichen Beweis für das vom Lotterie-Modell beschriebene Muster zu Gesicht zu bekommen, stürzte das ganze Theoriengebäude in sich zusammen. Bell begann, zahlreiche Arten unter den Gesichtspunkten Ökologie und Sexualität zu katalogisieren, in dem Bestreben, die Korrelation zwischen Umweltveränderungen und Sexualität nachzuweisen, die Williams und Maynard Smith mehr oder weniger unausgesprochen vorausgesetzt hatten. Danach wäre zu erwarten gewesen, daß Tiere und Pflanzen sich unter den folgenden Bedingungen mit höherer Wahrscheinlichkeit sexuell vermehren: wenn sie hochgelegene Landschaften oder höhere Breitengrade besiedeln (das Klima unterliegt dort stärkeren Schwankungen und ist daher rauher), im Süßwasser eher als im Meer (weil sich die Lebensumstände im Süßwasser durch Regenfälle, Erwärmung oder Austrocknung im Sommer, Frost im Winter und so weiter ständig ändern, was im Meer weit weniger der Fall ist), bei Kräutern, die in Lebensräumen mit stark schwankenden Bedingungen leben, und bei kleineren Lebewesen eher als bei großen. Bell stellte Gegenteiliges fest: Arten, die sich asexuell vermehren, sind häufig klein und leben in hochgelegenen Regionen oder höheren Breitengraden, im Süßwasser oder in Lebensräumen mit schwankenden Bedingungen. Sie gedeihen an wenig besiedelten Standorten, an denen rauhe, veränderliche Bedingungen verhindern, daß Populationen sich optimal entfalten können. Sogar die Verknüpfung zwischen der Art der Fortpflanzung und schlechten Zeiten bei Blattläusen und Rädertierchen erwies sich bei genauem Hinsehen als Mythos. Blattläuse und Rädertierchen wechseln nicht dann zu sexueller Fortpflanzung über, wenn Frost und Dürre drohen, sondern wenn die Populationsdichte mit dem Nahrungsangebot kollidiert. Man kann sie sehr leicht im Labor dazu veranlassen, zu sexueller Fortpflanzung überzuwechseln, indem man sie einfach zu dicht wachsen läßt.
    Bells Urteil über das Lotterie-Modell war vernichtend:
    »Von den besten Köpfen, die jemals über die Rolle von Sexualität nachgedacht haben, zumindest als gedankliche Grundlage akzeptiert, versagt es bei der Überprüfung durch eine vergleichende Analyse offenbar ganz entschieden.« 9
    Lotterie-Modelle sagen voraus, daß Sexualität dort am häufigsten sein müßte, wo sie in Wirklichkeit am seltensten vorkommt – bei ausgesprochen fruchtbaren kleinen Lebewesen in veränderlicher Umgebung. Hier aber bildet Sexualität im Gegenteil sogar die Ausnahme; bei großen, langlebigen Lebewesen aber, die sich nur langsam vermehren, ist sie an der Tagesordnung.
    Das war Williams gegenüber ein bißchen unfair, denn schließlich hatte sein »Ulmen-Austern«-Modell zumindest vorhergesagt, daß die Ursache für die sexuelle Fortpflanzung bei Ulmen in der erbitterten Konkurrenz junger Bäume um ausreichenden Raum besteht. Michael Ghiselin entwickelte diese Idee im Jahre 1974 weiter und kam zu einigen vielsagenden Analogien mit ökonomischen

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