Eros und Evolution
rasch zu, ein Phänomen, das an das Gesetz von der fallenden Profitrate in der Ökonomie erinnert. Einige Fehler durchgehen zu lassen und zur sexuellen Fortpflanzung überzuwechseln, um sie auszuräumen, ist unter Umständen billiger.
Matthew Meselson, Molekularbiologe an der Harvard University, hat eine andere Erklärung gefunden, die über Kondraschows Überlegungen hinausgeht. Meselson vermutet, daß »gewöhnliche« Mutationen, die einen Buchstaben im genetischen Code gegen einen anderen austauschen, relativ harmlos sind, weil sie leicht ausgebessert werden können, Insertionen aber – ganze DNA-Abschnitte, die anstelle eines einzigen Buchstabens in ein Gen hineingeraten – kann man nicht so leicht rückgängig machen. Solche »egoistischen« Insertionen haben die Neigung, sich wie eine Infektion auszubreiten, Sexualität aber wirkt dem entgegen, denn durch sie werden die Insertionen auf bestimmte Individuen aufgeteilt, und mit dem Tod dieser Träger verschwinden auch die Insertionen aus der Population. 41
Kondraschow stellt sich einer empirischen Überprüfung seiner Theorie.
Er erklärt, er sei zufrieden, wenn sich herausstellen sollte, daß die Häufigkeit nachteiliger Mutationen größer ist als eine Mutation pro Individuum pro Generation. Falls die Häufigkeit unter eins liegen sollte, wäre seine Theorie allerdings in Schwierigkeiten. Der bisherigen Beweislage nach bewegt sich die Häufigkeit für nachteilige Mutationen hart an der Grenze: Bei den meisten Organismen beträgt sie ungefähr eins pro Individuum pro Generation. Aber angenommen, sie wäre hoch genug, dann würde das lediglich beweisen, daß Sexualität eine Rolle beim Ausräumen von Mutationen spielt; unbeantwortet bliebe, weshalb Sexualität bestehenbleibt. 42
Inzwischen bröckelt diese Theorie. Sie kann nicht erklären, wie Bakterien, bei denen in manchen Spezies sexuelle Vorgänge nur selten, in anderen hingegen überhaupt nicht stattfinden, trotz allem nur geringfügig unter ihrer Mutationsrate leiden und weniger Korrekturfehler bei der Kopie von DNA machen. Wie es einer von Kondraschows Kritikern formulierte: »Sexualität ist ein merkwürdig schwerfälliges Gerät zur Haushaltsführung.« 43
Und schließlich leidet Kondraschows Theorie unter den gleichen Mängeln wie alle anderen Theorien über genetische Reparaturmechanismen und die Vikar-von-Bray-Theorie selbst: Die von ihr geforderten Mechanismen arbeiten zu langsam. Gemessen an einem Klon sich asexuell vermehrender Individuen, würde eine Population mit sexueller Vermehrung durch die höhere Produktivität des Klons unweigerlich ausgelöscht, es sei denn, die genetischen Rückschläge innerhalb des Klons machten sich rechtzeitig bemerkbar. Es ist ein Rennen gegen die Zeit.
Wie lange? Curtis Lively von der University of Indiana hat errechnet, daß sich bei jeder Verzehnfachung der Populationsgröße der Vorteil sexueller Fortpflanzung innerhalb von sechs weiteren Generationen zeigen müßte, damit die Sexualität das Rennen nicht verliert. Bei einer Million Individuen wäre die sexuelle Fortpflanzung andernfalls innerhalb von vierzig, bei einer Milliarde Individuen innerhalb von achtzig Generationen ausgestorben. Die Theorien zur genetischen Ausbesserung jedoch fordern allesamt Tausende von Generationen zur Sichtbarmachung der Auswirkungen. Kondraschows Theorie beinhaltet mit Sicherheit die am schnellsten voranschreitenden Mechanismen, aber auch diese sind vermutlich nicht schnell genug. 44
Bislang existiert keine rein genetische Theorie zur Erklärung von Sexualität, die auf breiter Basis unterstützt wird. Eine zunehmende Zahl von Evolutionstheoretikern ist daher der Ansicht, daß des Rätsels Lösung in der Ökologie zu finden ist, nicht in der Genetik.
DREI
DIE MACHT DER PARASITEN
Das Schachbrett ist die Welt; die Figuren sind die Phänomene des Universums; die Spielregeln sind das, was wir als Naturgesetze bezeichnen. Der Gegenspieler ist uns verborgen.
Wir wissen, daß sein Spiel stets fair, gerecht und geduldig sein wird. Aber wir wissen leider auch, daß er niemals einen Fehler übersieht oder uns auch nur das geringste Maß an Unwissenheit zugesteht.
Thomas Henry Huxley, A Liberal Education
Die Egelartigen Rädertierchen (Bdelloidea) stechen selbst aus der bunten Vielfalt mikroskopisch kleiner Organismen hervor. Sie leben in jeder Art von Süßwasser, von Pfützen in der Gosse angefangen bis hin zu heißen Quellen am Toten Meer und kurzlebigen Tümpeln auf
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