Eros und Evolution
dominanten Gen für braune Augen auf dem komplementären, vom anderen Elternteil geerbten Chromosom des Betreffenden maskiert würde. Erst dann, wenn zwei Nachkommen dieser ursprünglichen Mutation und somit beide Gene für blaue Augen zusammenkommen, wird der große Vorteil für blaue Augen deutlich. Nur die Sexualität bringt die beiden dazu zu heiraten und erlaubt ihren Genen, zusammenzukommen. Diese Tatsachen faßt man zur sogenannten Segregationstheorie der Sexualität zusammen, sie ist logisch und unbestritten. Tatsächlich beschreibt sie vorteilhafte Folgen der Sexualität. Unglückseligerweise ist der Effekt bei weitem zu schwach, um einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung der ungeheuren Verbreitung von Sexualität zu liefern. Mathematische Modelle zeigen, daß es fünftausend Generationen brauchte, um in dieser Form gute Arbeit zu leisten, und bis dahin hätte die Asexualität das Spiel längst gewonnen. 35
In den letzten Jahren haben sich die Genetiker von der Betrachtung vorteilhafter Mutationen abgewandt und begonnen, über schlechte Mutationen nachzudenken. Sexualität, so vermuten sie, ist eine Möglichkeit, schlechte Mutationen loszuwerden. Auch diese Überlegung hat ihren Ursprung in den sechziger Jahren, und zwar bei Hermann Joseph Muller, einem der Väter der Vikar-von-Bray-Theorie. Muller, der einen großen Teil seiner Karriere an der University of Indiana zubrachte, publizierte seinen ersten wissenschaftlichen Artikel über Gene im Jahre 1911, und in den kommenden Jahrzehnten sollte diesem eine wahre Flut von Ideen und Experimenten folgen. Im Jahre 1964 gelangte er zu einer seiner größten Erkenntnisse, heute unter dem Namen »Mullers Ratsche« bekannt. Ein einfaches Beispiel mag sie veranschaulichen: In einem Aquarium leben zehn Wasserflöhe, nur einer davon ist völlig frei von Mutationen. Alle anderen haben einen oder mehrere kleine Defekte.
Im Schnitt schaffen es pro Generation nur etwa fünf Wasserflöhe, sich zu vermehren, bevor sie von den Fischen gefressen werden. Das Risiko, sich nicht vermehren zu können, beträgt für den mutationsfreien Wasserfloh eins zu eins. Natürlich trifft das auch auf den Wasserfloh mit den größten Mutationen zu, und doch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Wenn der mutationsfreie Wasserfloh tot ist, dann gibt es nur eine Möglichkeit, ihn »wiedererstehen« zu lassen, nämlich die Korrektur der Mutation in einem mutierten Wasserfloh durch eine weitere Mutation – ein sehr unwahrscheinlicher Vorgang. Ein Floh mit zwei Defekten aber kann sehr leicht entstehen, dazu bedarf es lediglich irgendeiner Mutation irgendwo im Genom eines bereits mutierten Wasserflohs. Mit anderen Worten, der zufällige Verlust bestimmter Nachkommenlinien führt dazu, daß Fehler sich anhäufen. Genauso wie sich eine Ratsche leicht in die eine Richtung drehen läßt, aber nicht zurückgedreht werden kann, sammeln sich genetische Mutationen unausweichlich an. Die einzige Möglichkeit für den »vollkommenen« Wasserfloh, das Drehen der Ratsche zu umgehen, besteht in der sexuellen Weitergabe seiner fehlerfreien Gene an andere Flöhe vor seinem Tod. 36 Die Muller-Ratsche gilt zum Beispiel auch, wenn Sie mit einem Fotokopiergerät Kopien einer Kopie von der Kopie eines Originals anfertigen.
Mit jeder folgenden Kopie nimmt die Qualität ab. Nur wenn Sie das unversehrte Original aufbewahren, können Sie wieder eine saubere Kopie herstellen. Aber nehmen Sie einmal an, Sie bewahren das Original mit den Kopien zusammen in einem Ordner auf, und es werden immer dann neue Kopien hergestellt, wenn nur noch eine Kopie im Ordner ist. Dafür, daß das Original herausgenommen und vielleicht weggeschickt wird, besteht dann die gleiche Wahrscheinlichkeit wie dafür, daß Kopien hinausgehen. Wenn aber die Originalkopie verloren ist, dann wird die beste Kopie, die Sie machen können, stets weniger gut sein als zuvor. Eine schlechtere Kopie als die schlechteste aber können Sie leicht herstellen, indem Sie einfach die schlechteste Kopie kopieren, die Sie besitzen.
Graham Bell von der McGill University hat eine andere Debatte neu belebt, die um die Jahrhundertwende unter den Biologen geführt wurde, und zwar die Diskussion darüber, ob Sexualität eine verjüngende Wirkung habe. Die Biologen interessierte, warum eine Protozoenpopulation in Kultur, die man zwar mit ausreichend Futter versorgte, die aber keine Möglichkeit hatte, sich sexuell zu vermehren, unausweichlich einem allmählichen Abbau
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