Eros und Evolution
vorteilhaft, während des Heranwachsens als Weibchen zu leben, hier und da ein bißchen zu brüten, dann das Geschlecht zu wechseln und schließlich als Polygamist den Jackpot einzustreichen, sobald man die ausreichende Größe hat, um einem Harem vorzustehen. Eigentlich ist es erstaunlich, daß nicht viel mehr Säuger und Vögel dieses System annehmen. Halbwüchsige Rehböcke verbringen Jahre ihres Lebens im Zölibat und warten auf die Gelegenheit zur Paarung, während ihre Schwestern jedes Jahr ein Kitz haben.
Die zweite Möglichkeit der Geschlechtsbestimmung besteht darin, das Ganze der Umgebung anheimzustellen. Bei manchen Fischen, Krebsen und Reptilien hängt das Geschlecht von der Temperatur ab, mit der das Ei bebrütet wird. Bei den Schildkröten schlüpfen aus Eiern, die während der Brut wärmeren Temperaturen ausgesetzt waren, Weibchen, bei Alligatoren hingegen Männchen. Bei Krokodilen schlüpfen sowohl bei hoher als auch bei niedriger Bruttemperatur Weibchen aus den Eiern, und nur mittelmäßige Temperaturen lassen Männchen entstehen. (Reptilien sind hinsichtlich der Methoden zur Geschlechtsbestimmung ohnehin die unternehmungslustigsten Organismen von allen. Manche Lurche und Schlangen richten sich nach genetischen Gesichtspunkten, doch während XY-Leguane Männchen und XX-Leguane Weibchen sind, werden XY-Schlangen weiblich und XX-Schlangen männlich.) Die atlantischen Ährenfische bestimmen ihr Geschlecht genau wie wir, diejenigen, die weiter südlich leben, lassen das Geschlecht ihrer Embryos über die Wassertemperatur regulieren. 41
Diese umweltorientierte Methode scheint ein recht seltsamer Weg zu sein. Sie bedeutet, daß sich unter ungewöhnlich warmen Bedingungen unter Umständen zu viele Alligatoren-Männchen und zuwenig Weibchen entwickeln. Sie führt darüber hinaus auch zu »Mischgeschlechtern«, Tieren also, die weder das eine noch das andere sind. 42 Kein Biologe kann mit einer wasserdichten Erklärung dafür aufwarten, weshalb Alligatoren, Krokodile und Schildkröten sich dieser Art der Geschlechtsbestimmung bedienen. Die beste Erklärung scheint noch die zu sein, daß all das mit der Körpergröße zu tun hat. Unter wärmeren Bedingungen schlüpfen aus den Eiern größere Babys als unter kälteren.
Wenn das Großsein für Männchen eher von Vorteil ist als für Weibchen (wie bei den Krokodilen, bei denen Männchen um Weibchen konkurrieren, wobei die größeren gewinnen) oder umgekehrt (wie bei den Schildkröten, bei denen größere Weibchen mehr Eier legen als kleinere, während die kleineren Männchen genauso viele Weibchen befruchten können wie die größeren), dann zahlt es sich aus, unter wärmeren Bedingungen das Geschlecht, weiblich oder männlich, aus den Eiern schlüpfen zu lassen, das von seiner Größe her die meisten Vorteile hat. 43 Ein noch deutlicheres Beispiel für dieses Phänomen ist der Fall eines Fadenwurms (Nematode), der innerhalb einer Insektenlarve lebt. Seine Größe wird durch die Größe des Insekts festgelegt: Sobald er Haus und Wirt verspeist hat, hört er auf zu wachsen. Ein großer weiblicher Wurm aber kann mehr Eier legen als ein kleinerer, während ein großes Männchen nicht mehr Weibchen begatten kann als ein kleineres. Größere Würmer werden daher eher zu Weibchen, kleinere zu Männchen. 44 Ein dritter Weg, das Geschlecht festzulegen, besteht darin, die Mutter bei jedem Kind wählen zu lassen. Über die eindrucksvollsten Möglichkeiten verfügen monogononte Rädertierchen, Bienen und Wespen. Bei ihnen werden die Eier nur dann weiblich, wenn sie befruchtet werden.
Aus unbefruchteten Eiern schlüpfen Männchen. Das bedeutet, daß die Männchen haploid sind, also nur über einen einzelnen Gensatz verfügen, während Weibchen zwei Gensätze haben. Auch dies ergibt einen biologischen Sinn. Es hat zur Folge, daß ein Weibchen ein Volk gründen kann, ohne jemals einem Männchen zu begegnen. Da die meisten Wespen Parasiten sind, die in anderen Insekten leben, ist es für ein Weibchen, das auf einen Wirtsorganismus trifft, vorteilhaft, eine Kolonie gründen zu können, ohne erst auf das Eintreffen eines Männchens warten zu müssen. Haploidie aber ist anfällig gegenüber bestimmten Formen von genetischer Meuterei. So gibt es zum Beispiel bei der Wespe Nasonia ein kleines überzähliges Chromosom namens PSR, das über die männliche Linie vererbt wird und jedes weibliche Ei, in das es hineingelangt, dazu bringt, weiblich zu werden – indem es einfach
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