Eros und Evolution
männlichen Eier absterben, werden sie von den weiblichen Larven gefressen, die auf diese Weise zu einer guten Mahlzeit kommen. Es überrascht nicht, daß bei Marienkäfern ebenso wie bei Fliegen, Schmetterlingen, Wespen und Käfern – insgesamt kennt man zur Zeit etwa dreißig Insektenarten – Gene am Werk sind, die sich gegen das männliche Geschlecht richten, und zwar dann und nur dann, wenn die Jungen im Gelege miteinander konkurrieren müssen. Diese Gene residieren allerdings nicht in Organellen, sondern in Bakterien, die innerhalb der Insektenzellen leben. Diese Bakterien haben ebenso wie die Organellen keine Möglichkeit, in Spermien hineinzugelangen, wohl aber in Eier. 31 Bei Tieren bezeichnet man solche Gene als Sex ratio distorters, »Störer des Geschlechterverhältnisses«. Bei mindestens zwölf Arten einer kleinen parasitischen Wespenfamilie namens Trichogramma führt eine bakterielle Infektion dazu, daß Weibchen nur Weibchen produzieren, und zwar auch aus unbefruchteten Eiern. (Alle Wespen verfügen über ein besonderes System der Geschlechtsbestimmung, bei dem unbefruchtete Eier normalerweise zu Männchen werden.) Die Gattung ist vor dem Aussterben gefeit, und den Bakterien hilft dieses System, über das Zytoplasma der Eizelle in die nächste Generation zu gelangen. Die gesamte Art wird so lange parthenogenetisch bleiben, wie das Bakterium vorhanden ist. Behandelt man die Wespen mit einem Antibiotikum, dann gibt es plötzlich – man höre und staune – zwei Geschlechter. Penicillin heilt die an Jungfrauengeburten leidenden Wespen. 32 In den fünfziger Jahren machten Wissenschaftler eines landwirtschaftlichen Forschungszentrums in Beltsville, Maryland, die Entdeckung, daß einige Truthahneier sich auch ohne Befruchtung zu entwickeln begannen. Allen heroischen Bemühungen der Wissenschaftler zum Trotz gelangten diese Puter jungfräulicher Herkunft allerdings so gut wie nie über das Embryonalstadium hinaus. Die Wissenschaftler erkannten in diesem Zusammenhang, daß bei den Tieren die Pockenimpfung mit lebenden Viren den Anteil an Eiern, die sich ohne Spermien zu entwickeln begannen, von ein bis zwei Prozent auf drei bis sechzehn Prozent erhöhte. Durch selektive Zucht und die Verwendung von drei verschiedenen Viren gelang es ihnen, einen Stamm von Pozo-Gray-Putern zu erzeugen, bei dem sich die Hälfte aller Eier ohne Befruchtung zu entwickeln begann. 33
Wenn das bei Putern funktioniert, weshalb sollte es dann nicht auch beim Menschen möglich sein? Laurence Hurst ist in diesem Zusammenhang einem sehr vagen Hinweis auf einen möglicherweise geschlechtsverändernden Parasiten beim Menschen nachgegangen. In einer kleinen französischen Wissenschaftszeitschrift berichtete im Jahre 1946 ein Arzt aus Nancy über die erstaunliche Geschichte einer Frau, die damals ihr zweites Kind erwartete. Das erste, ein Mädchen, war bereits als Säugling gestorben. Sie war keineswegs überrascht, daß ihr zweites Kind ebenfalls eine Tochter war. In ihrer Familie, so erzählte sie, seien niemals Söhne zur Welt gekommen.
Ihre Geschichte las sich folgendermaßen: Sie war die neunte Tochter einer sechsten Tochter. Weder ihre Mutter noch sie hatten Brüder. Ihre acht Schwestern bekamen siebenunddreißig Töchter und keinen einzigen Sohn. Ihre fünf Tanten hatten achtzehn Töchter und keinen Sohn.
Insgesamt waren in dieser Familie zweiundsiebzig Frauen geboren worden, aber kein einziger Mann. 34
Natürlich kann das reiner Zufall sein, aber das ist unwahrscheinlich: Die Chancen stehen schlechter als eins zu einer Trillion. Die beiden französischen Wissenschaftler, die diesen Fall beschrieben haben, R. Lienhart und H. Vermelin, schlossen aufgrund fehlender Indizien hierfür das Vorkommen von Spontanaborten, die selektiv die männlichen Feten betroffen hätten, aus. Viele der Frauen waren sogar ungewöhnlich fruchtbar: Eine von ihnen hatte zwölf Töchter, eine neun und eine andere acht. Sie mutmaßten statt dessen, daß bei den Frauen und ihrer Familie ein zytoplasmatisches Gen vorhanden ist, welches jeden Embryo, in dem es vorkommt, unabhängig von den jeweils vorhandenen Geschlechtschromosomen, verweiblicht. (Es gibt übrigens auch keinen Hinweis darauf, daß es sich um Jungfrauengeburten gehandelt haben könnte. Die älteste Schwester dieser Frau lebte als Nonne im Zölibat und blieb kinderlos.)
Der Fall der Madame B., wie sie genannt wurde, ist kolossal spannend: Hatten ihre Töchter und Nichten ebenfalls nur
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