Eros und Evolution
anderen Grunde bemerkenswert: Sie haben eine besondere Art, das Geschlecht ihrer Jungen festzulegen. Bei ihnen gibt es drei Geschlechtschromosomen, W, X und Y. XY ist ein Männchen, WX und WY sind Weibchen. YY überlebt nicht. Was hier geschehen ist, läßt sich folgendermaßen erklären: Irgendwann ist eine mutierte Form von X-Chromosom entstanden, welche die maskulinisierende Wirkung des Y-Chromosoms aufhebt. Die Folge davon ist ein Weibchenüberschuß (übrigens ist dies auch eine mögliche Erklärung für Madame B.s Familie). Damit sind die Männchen im Vorteil, und man könnte erwarten, daß sie sehr bald die Fähigkeit entwickeln, mehr Y- als X- enthaltende Spermien zu produzieren. Das aber ist nicht der Fall. Weshalb? Zuerst haben die Biologen angenommen, es habe irgend etwas mit den regelmäßig wiederkehrenden Bevölkerungsexplosionen zu tun, in deren Verlauf ein Überschuß an Töchtern von Vorteil wäre, doch inzwischen hat sich herausgestellt, daß man gar nicht so weit ausholen muß. Das weibchenlastige Geschlechterverhältnis ist aus genetischen Gründen stabil, es bedarf keiner ökologischen Begründung. 37
Ein Männchen, das nur Y-Spermien produziert, kann sich mit einem XX-Weibchen paaren und zeugt nur Söhne (XY), mit einem WX-Weibchen produziert es zur Hälfte Söhne und zur Hälfte Töchter, mit einem WY-Weibchen zeugt es nur Töchter, denn die YY-Söhne sterben. Wenn es sich also mit jeder Weibchenart einmal paart, dann besteht das Nettoergebnis in gleich vielen Söhnen und Töchtern, wobei alle Töchter WY-Weibchen sind, die nur Töchter haben können. Das Männchen ist also weit davon entfernt, das Geschlechterverhältnis auszugleichen, sondern hält es vielmehr weibchenlastig (obwohl es nur Y-Spermien produziert). Der Fall der Lemminge macht deutlich, daß auch die Einführung von Geschlechtschromosomen nicht verhindert, daß aufrührerische Chromosomen das Geschlechterverhältnis zu ändern suchen. 38
Wie bestimmt man das Geschlecht seines Kindes?
Nicht alle Tiere besitzen Geschlechtschromosomen. Eigentlich ist kaum einzusehen, weshalb man sie bei so vielen Organismen findet. Sie machen die Geschlechtsbestimmung zu einem puren Glücksspiel, nur gebremst von der willkürlichen Übereinkunft, daß das Geschlechterverhältnis (in der Regel) gleich zu halten sei, nämlich bei fünfzig zu fünfzig.
War das erste Spermium, welches das Ei Ihrer Mutter erreichte, ein Y-Spermium, dann sind Sie ein Mann, andernfalls sind Sie eine Frau. Es gibt wenigstens drei andere und bessere Möglichkeiten, Ihr Geschlecht festzulegen.
Die erste gilt für eher seßhafte Kreaturen und besteht darin, das Geschlecht seinen sexuellen Gelegenheiten anzupassen. Zum Beispiel von anderem Geschlecht zu sein als der unmittelbare Nachbar, denn dieser oder diese wird vermutlich Ihr Partner werden. Eine Pantoffelschnecke, die sich übrigens des lateinischen Namens Crepidula fornicata erfreut, beginnt ihr Leben als Männchen und entwickelt sich, sobald sie aufhört umherzuwandern und auf einem Felsen seßhaft wird, zum Weibchen; ein anderes Männchen läßt sich auf ihr nieder und wird allmählich ebenfalls zum Weibchen; ein drittes Männchen kommt dazu und so weiter, bis sich ein Turm aus Pantoffelschnecken gebildet hat, bei dem die unteren Tiere weiblichen Geschlechts und die oberen männlichen Geschlechts sind. Eine ganz ähnliche Methode findet sich bei bestimmten riffbewohnenden Fischen. Der Schwarm besteht aus vielen Weibchen und einem einzigen großen Männchen. Stirbt dieses, dann wechselt das größte Weibchen im Schwarm einfach sein Geschlecht. Der Blaukopf-Lippfisch ändert sein Geschlecht von weiblich auf männlich, sobald er eine bestimmte Größe erreicht. 39
Vom Standpunkt des Fisches aus betrachtet, ist dieser Geschlechtswechsel ausgesprochen sinnvoll, gibt es doch einen grundlegenden Unterschied hinsichtlich der Risiken beziehungsweise Vorteile von Männchen und Weibchen. Ein großes Weibchen kann nicht wesentlich mehr Eier legen als ein kleines. Ein großes Männchen aber, das sich einen Harem erkämpft, kann sehr viel mehr Nachkommen hinterlassen als ein kleines. Ja, ein kleines Männchen ist sogar schlechter dran als ein kleines Weibchen, denn es hat überhaupt keine Chance, einen Partner zu finden. Bei polygamen Arten gibt es daher häufig die folgende Grundstrategie: Wenn du klein bist, sei weiblich, wenn du groß bist, sei männlich. 40
Solche Listen sind von unschätzbarem Wert. Es ist sehr
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