Eros und Evolution
in schlechterem Zustand wird höchstwahrscheinlich einen eher zarten und schmächtigen Sohn haben, der sich unter Umständen überhaupt nicht fortpflanzt, ihre Töchter hingegen können einem Harem angehören und Nachkommen haben, selbst dann, wenn sie in keiner guten Verfassung sind. Wenn Sie also Gründe zu der Annahme haben, daß es Ihrem Nachwuchs einmal gutgehen wird, sollten Sie Söhne haben; wenn Sie annehmen müssen, daß Sie sich – im Vergleich zu anderen in der Population – weniger gut entwickeln werden, sollten Sie Töchter bekommen. 49 Deshalb, so Trivers und Willard, müßten vor allem bei polygamen Tieren Eltern, die sich in guter Verfassung befinden, vermutlich männchenlastige Würfe haben, während Eltern in schlechter Verfassung vermutlich weibchenlastige Würfe haben werden. Zunächst wurde dies als reichlich weit hergeholte Vermutung belacht, doch nach und nach zollten die Kollegen dieser Überlegung Respekt, und schließlich erfuhr sie profunde Unterstützung durch empirische Daten.
Betrachten wir den Fall des venezolanischen Opossums, eines kleinen Beuteltieres, das aussieht wie eine Ratte und in Erdlöchern lebt. Steve Austad und Mel Sunquist von der Harvard University hatten vor, die Trivers-Willard-Theorie zu widerlegen. Sie fingen in Venezuela vierzig jungfräuliche Opossum-Weibchen und markierten sie. Zwanzig dieser Weibchen fütterten sie mit 125 Gramm Sardinen pro Tag, indem sie die Sardinen an den Eingang der Erdlöcher legten – zweifellos zur Überraschung und Freude der Opossums. Danach fingen sie die Tiere allmonatlich wieder ein, öffneten ihre Bauchtaschen und bestimmten das Geschlecht der Jungen. Unter den zweihundertundsechsundfünfzig Jungen der nicht mit Sardinen gefütterten Mütter betrug das Verhältnis von Männchen zu Weibchen genau 1 zu 1. Bei den zweihundertsiebzig Jungen sardinengefütterter Weibchen betrug das Verhältnis 1,4 zu 1. Gut gefütterte Opossums bekommen also mit signifikanter Wahrscheinlichkeit mehr Söhne als schlecht gefütterte. 50
Der Grund? Die Jungen gut gefütterter Opossums werden größer; größere Männchen aber sind eher in der Lage, später einmal einen Harem für sich zu beanspruchen, als kleinere. Dafür, daß größere Weibchen mehr Junge bekommen werden, besteht dagegen keine erhöhte Wahrscheinlichkeit. Die Opossum-Mütter haben also in das Geschlecht investiert, das ihnen vermutlich einmal zu den meisten Enkeln verhilft.
Opossums stehen mit diesem Verhalten nicht allein. Im Labor gezüchtete Hamster kann man dazu bringen, weibchenlastige Würfe zu bekommen, wenn man sie beim Heranwachsen oder in der Schwangerschaft hungrig hält. Bei den Sumpfbibern haben Weibchen in gutem Zustand männchenlastige Würfe; Weibchen, die sich in schlechtem Zustand befinden, haben weibchenlastige Würfe. Bei den Weißwedelhirschen haben ältere Mütter und schmächtige Jährlinge häufiger weibliche Kitze, als dies der Zufall fordern würde. Dasselbe gilt für Ratten, die unter Streßbedingungen gehalten werden. Bei vielen Huftieren hat Streß oder ein unergiebiger Lebensraum jedoch den gegenteiligen Effekt und verschiebt das Gleichgewicht auf die Männchenseite. 51 Einige dieser Effekte lassen sich auch durch andere Theorien leicht erklären. Da Männchen oft größer sind als Weibchen, wachsen männliche Embryos schneller und stellen für die Mutter eine größere Belastung dar. Für einen hungrigen Hamster oder ein schwaches Reh zahlt es sich deshalb aus, eher einen Wurf mit vielen Weibchen auszutragen als einen mit vielen Männchen. Es ist zudem nicht leicht, das Geschlechterverhältnis bei der Geburt exakt nachzuweisen, und es hat so viele negative Ergebnisse gegeben, daß etliche Wissenschaftler darauf beharren, die positiven Ergebnisse seien statistischer Zufall gewesen (wenn man eine Münze nur lange genug wirft, wird man irgendwann auch zwanzigmal nacheinander Kopf bekommen). Doch nichts kann die Opossum-Studie und ähnliche Untersuchungen erklären. Bis zum Ende der achtziger Jahre schließlich waren viele Wissenschaftler davon überzeugt, daß Trivers und Willard zumindest in manchen Fällen recht hatten. 52 Am alleraufregendsten aber waren die Befunde, die sich mit dem Sozialstatus befaßten. Tim Clutton-Brock von der Cambridge University beobachtete Rotwild auf der Insel Rhum vor der schottischen Küste. Er stellte fest, daß der Zustand der Mutter nur wenig Einfluß auf das Geschlecht der Kälber hatte, wohl aber ihr Rang innerhalb der
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