Eros und Evolution
Gruppe. Dominante Weibchen hatten mit einer leicht erhöhten Wahrscheinlichkeit Söhne statt Töchter. 53
Clutton-Brocks Ergebnisse alarmierten die Primatologen, die seit langem vermutet hatten, daß es bei verschiedenen Affenarten vorbelastete Geschlechterverhältnisse gibt. Bei den Klammeraffen Perus ergab sich in den Untersuchungen von Meg Symington ein deutlicher Bezug zwischen dem sozialen Rang des Muttertiers und dem Geschlecht des Nachwuchses. Sämtliche einundzwanzig Jungtiere der ranguntersten Weibchen waren Weibchen; unter den acht Jungtieren der ranghöchsten Weibchen gab es acht Männchen; nur bei den mittleren Rangstufen befand sich das Geschlechterverhältnis im Gleichgewicht. 54 Eine noch größere Überraschung barg jedoch der Vergleich dieser Befunde mit den Geschlechterprävalenzen verschiedener anderer Affenarten. Bei Pavianen, Brüllaffen, Rhesusaffen und indischen Hutaffen liegen die Verhältnisse genau anders herum: Ranghohe Weibchen haben weiblichen, rangniedere Weibchen dagegen männlichen Nachwuchs.
Bei achtzig Jungen von zwanzig kenianischen Brüllaffenweibchen stellte Jeanne Altmann von der University of Chicago fest, daß bei ranghohen Weibchen die Wahrscheinlichkeit für die Geburt einer Tochter doppelt so hoch war wie bei rangniederen. Folgestudien lieferten weniger auffällige Ergebnisse, und manche Wissenschaftler halten die Ergebnisse dieser Affenstudie für reinen Zufall, das ist möglicherweise falsch. 55
Symingtons Klammeraffen bevorzugten Söhne, wenn sie dominant waren, die anderen Affen hingegen Töchter. Möglicherweise ist das wirklich kein Zufall. Bei den meisten Affen (Brüllaffen, Paviane und Makaken eingeschlossen) verlassen die Männchen in der Pubertät die Gruppe, in der sie geboren wurden, und schließen sich einer anderen an – man bezeichnet dies als männliche Exogamie. Bei Klammeraffen ist es umgekehrt: Die Weibchen verlassen die Gruppe. Verläßt ein Affe seine Heimatgruppe, dann besteht für ihn keine Chance, den sozialen Rang der Mutter zu erben. Ranghohe Weibchen müßten also Junge des Geschlechts produzieren, das daheimbleibt, um ihnen ihren Rang weitergeben zu können. Rangniedere Weibchen müßten Junge des Geschlechts haben, das die Gruppe verläßt, damit sie ihren Nachkommen keinen niederen sozialen Status aufbürden. Deshalb haben ranghohe Brüllaffen, Paviane und Makaken Töchter, ranghohe Klammeraffen dagegen Söhne. 56
Hierbei handelt es sich um einen hochmodifizierten Trivers-Willard-Effekt, im Handel unter der Bezeichnung local resource competition model. 57 Ein hoher Rang führt also zu einer Bevorzugung des Geschlechts, das in der Pubertät nicht fortzieht. Ob das möglicherweise auch für den Menschen gilt?
Bekommen dominante Frauen Söhne?
Der Mensch ist ein Affe. Von den fünf Menschenaffenarten leben drei in Sozialverbänden, bei zweien davon, den Gorillas und den Schimpansen, sind es die Weibchen, die die angestammte Gruppe verlassen, und es sind die Männchen, die ihr weiter angehören. Jane Goodall beobachtete Schimpansen am Gombestrom in Tansania und stellte fest, daß junge Männchen, die von älteren Weibchen geboren wurden, es leichter haben, an die Spitze zu gelangen, als Männchen, die von jungen Weibchen abstammen. Affenweibchen mit einem hohen Sozialstatus sollten demnach – Trivers und Willard zufolge – männliche, solche mit einem niederen Sozialstatus dagegen weibliche Junge bekommen. 58 Nun sind Männer nicht übermäßig polygam, der Vorteil einer besonderen Körpergröße ist für einen Mann nicht sehr ausgeprägt: Hochgewachsene Männer betören nicht notwendigerweise mehr Frauen, und große Jungen werden nicht unbedingt zu großen Männern. Aber die Menschheit ist eine hochsoziale Spezies, und ihre Gesellschaften haben fast alle eine Schichtenstruktur. Eine äußerst bedeutsame Grundvoraussetzung für einen hohen sozialen Status ist bei Männern ebenso wie bei Schimpansenmännchen der Fortpflanzungserfolg. Wohin man auch blickt, von irgendwelchen Stammesangehörigen bis hin zum viktorianischen England, Männer mit einem hohen Sozialstatus hatten mehr Kinder als Männer mit niederem Status. Der Sozialstatus aber ist in hohem Maße ererbt, er wird meist von den Eltern auf die Kinder übertragen.
Frauen verlassen bei der Heirat normalerweise ihr Zuhause. Ich will damit nicht sagen, daß es eine instinktive oder natürliche Haltung ist, daß es unausweichlich oder auch nur wünschenswert ist, wenn Frauen bei der
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