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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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Töchter? Wie steht es mit den Cousinen ersten Grades? Gibt es in Nancy noch immer eine ständig wachsende Dynastie von Frauen, die das Geschlechterverhältnis der Stadt demnächst aus dem Gleichgewicht bringen wird? Trifft die von den französischen Ärzten angebotene Erklärung zu? Falls ja, um was für ein Gen handelt es sich, und wie liegt es vor? Es kann in einem Parasit vorhanden gewesen sein oder in Organellen. Wie hat es funktioniert? Vielleicht werden wir das niemals erfahren.

Die Buchstabenschlacht der Lemminge
    Einige Einwohnerinnen der Stadt Nancy einmal ausgenommen, wird beim Menschen das Geschlecht im allgemeinen von den Geschlechtschromosomen festgelegt. Bei Ihrer Empfängnis haben um das Ei Ihrer Mutter zwei Arten von Spermien Ihres Vaters gebuhlt: Die eine enthielt ein X-Chromosom, die andere ein Y-Chromosom. Welche von beiden das Rennen gemacht hat, bestimmte Ihr Geschlecht. Bei Säugetieren, Vögeln, den meisten anderen Tieren und sehr vielen Pflanzen ist das der normale Gang der Dinge: Das Geschlecht wird durch die Geschlechtschromosomen genetisch bestimmt. Leute mit einem X- und einem Y-Chromosom werden männlich, Leute mit zwei X-Chromosomen werden weiblich.
    Doch auch die Erfindung von Geschlechtschromosomen und deren Erfolg bei der Unterdrückung der Rebellion durch zytoplasmatische Gene hat das Leben in der Gen-Gesellschaft nicht nachhaltig befrieden können. Denn nun begannen die Geschlechtschromosomen selbst, Interesse am Geschlecht der Kinder ihres Trägers zu entwickeln. Beim Mann befinden sich die das Geschlecht kontrollierenden Gene beispielsweise auf dem Y-Chromosom. Die eine Hälfte der Spermien eines Mannes trägt ein X-Chromosom in sich, die andere Hälfte ein Y-Chromosom. Um Vater einer Tochter zu werden, muß der Mann seine Partnerin mit einem Spermium befruchten, das das X-Chromosom trägt. Damit gibt er allerdings keines seiner Y-Gene weiter. Vom Standpunkt des Y-Chromosoms aus ist seine Tochter nicht mit ihm verwandt. Ein Y-Chromosom, das zum Untergang sämtlicher das X-Chromosom enthaltenden Spermien eines Mannes führte und sich damit das Monopol in der Nachkommengeneration des Mannes sicherte, würde auf Kosten aller anderen Y-Gene gedeihen. Daß alle Kinder männlich würden und die Art auf diese Weise ausstürbe, interessiert das Y dabei nicht: Es verfügt über keinen Vorausblick.
    Dieses Phänomen des »vorlauten Y« wurde von Bill Hamilton im Jahre 1967 zum ersten Mal postuliert. 35 Er betrachtete es als eine ernst zu nehmende Gefahr, da es eine Art sehr rasch still und leise aussterben lassen kann. Und er fragte sich, wie – wenn überhaupt – diese Bedrohung verhindert werden könnte. Eine Lösung bestünde darin, das Y-Chromosom zu knebeln, indem man ihm bis auf seine geschlechtsbestimmende Funktion alles nimmt. In der Tat befinden sich Y-Chromosomen die meiste Zeit über unter einer Art Hausarrest: Nur wenige ihrer Gene werden aktiv, der Rest ruht. Bei manchen Arten wird das Geschlecht nicht durch das Y-Chromosom festgelegt, sondern durch das Verhältnis der Anzahl von X-Chromosomen zur Anzahl normaler Chromosomen. Um einen männlichen Vogel entstehen zu lassen, reicht ein einziges X-Chromosom nicht aus, es müssen zwei sein. Bei den meisten Vögeln ist das Y-Chromosom völlig verkümmert.
    Wieder ist die Rote Königin am Werk. Weit davon entfernt, sich auf eine faire und vernünftige Form der Geschlechtsbestimmung zu einigen, muß die Natur mit einer endlosen Reihe von Revolutionen fertigwerden.
    Sobald es ihr gelungen ist, eine davon zu unterdrücken, muß sie feststellen, daß sie damit nur den Weg für eine neue freigemacht hat. Aus diesem Grunde ist die Geschlechtsbestimmung, um es mit den Worten von Cosmides und Tooby auszudrücken, ein Vorgang voll »sinnloser Komplexität, der [ein hohes Maß an] Unzuverlässigkeit, Irrtümern und [vom Standpunkt des einzelnen aus betrachtet] Verschwendung an den Tag legt.« 36
    Doch nicht nur das Y-Chromosom kann drängeln, auch das X-Chromosom ist dazu in der Lage. Lemminge sind kleine, pummelige arktische Mäuse, die wegen ihrer Neigung, sich dann und wann in großen Massen gemeinsam von irgendwelchen Klippen zu stürzen, unter den Cartoon-Zeichnern eine gewisse Berühmtheit erlangt haben. Ihre Berühmtheit unter den Biologen verdanken sie der Tatsache, daß ihre Populationen explosionsartig anwachsen und, sobald sie ihre Nahrungsquellen erschöpft haben, ebenso rasch wieder kollabieren. Sie sind jedoch noch aus einem

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