Eros und Evolution
versetzt, mit großer Geschwindigkeit das Geschlecht einen Tag alter Küken zu bestimmen (allerdings werden die Koreaner vielleicht bald von einem Computer eingeholt 71 ). In Ausübung dieses speziellen Gewerbes reisen sie um die ganze Welt.
In Sichtweite des Pazifischen Ozeans erklärte mir eines schönen Tages ein Enchiladas verzehrender Richard Dawkins, weshalb es völlig klar sei, daß man Tiere, die nur ein Geschlecht hervorbringen, nicht züchten könne. Angenommen, Sie hätten eine Kuh, die nur Färsen bekommt. Mit wem kreuzen Sie diese Kälber, um die Rasse zu erhalten? Mit normalen Bullen – wobei Sie die Gene auf der Stelle eins zu eins verdünnen.
Man kann es auch anders ausdrücken: Die Tatsache, daß die eine Hälfte einer Population Söhne bekommt, macht es für die andere Hälfte lohnenswert, Töchter zu haben. Jedes Tier ist Kind eines männlichen und eines weiblichen Organismus. Wenn also dominante Tiere Söhne haben, zahlt es sich für die rangniederen Tiere aus, Töchter zu haben. Das Geschlechterverhältnis der Population als Ganzes wird sich immer wieder bei eins zu eins einpendeln, denn sobald es sich davon entfernt, hat irgendwer einen Vorteil davon, dem selteneren Geschlecht anzugehören.
Diese Erkenntnis hatte zuerst Sir Ronald Fisher in den zwanziger Jahren, und Trivers hält sie für den Kern der Antwort auf die Frage, weshalb die Fähigkeit, das Geschlecht der eigenen Nachkommen zu beeinflussen, niemals in den Genen verankert sein kann.
Im übrigen wäre es unsinnig, den sozialen Rang, wenn er denn tatsächlich für die Bestimmung des Geschlechterverhältnisses von Bedeutung wäre, in den Genen festzuschreiben, denn er ist definitonsgemäß etwas, das seinen Ursprung nicht in den Genen hat. Das Zuchtziel hoher Sozialstatus ist im Rennen der Roten Königin eine nutzlose Übung. Rang ist relativ. »Man kann nicht gezielt auf rangniedere Kühe züchten«, so Trivers. »Damit schaffte man allenfalls eine neue Hierarchie und stellte den Thermostat frisch ein. Wenn alle Ihre Kühe unterwürfig sind, dann wird die am wenigsten unterwürfige zur dominantesten und wird somit einen entsprechenden Hormonspiegel aufweisen.« Der Rang beeinflußt den Hormonspiegel, und dieser hat seinerseits Auswirkungen auf das Geschlechterverhältnis beim Nachwuchs. 72
Konvergente Vernunftschlüsse
Trivers und Willard postulieren mit ihrer Theorie, die Evolution müsse einen unbewußten Mechanismus einbauen, der das Geschlechterverhältnis der Nachkommenschaft eines einzelnen Organismus beeinflußt.
Wir sehen uns aber gerne als vernunftbegabte Individuen, die bewußte Entscheidungen fällen. Ein vernunftbegabter Mensch kann jedoch zu denselben Schlußfolgerungen gelangen wie die Evolution. Einige der stichhaltigsten Argumente zur Unterstützung der Überlegungen von Trivers und Willard entstammen nicht Tierstudien, sondern dem Intellekt des Menschen, der die in der Natur gültige Logik wiederentdeckt hat.
In vielen Kulturen bemühen sich Eltern mehr um ihre Söhne als um ihre Töchter. Noch in jüngster Zeit wurde dies lediglich als Ausdruck sexistischen Verhaltens oder der Tatsache gewertet, daß aus ökonomischer Sicht Söhne häufig für wertvoller gehalten werden als Mädchen. Doch durch konsequente Anwendung der von Trivers und Willard propagierten Logik haben die Anthropologen erkannt, daß die Begünstigung des männlichen Geschlechts überhaupt keine Allgemeingültigkeit besitzt und daß sich genau dort eine Begünstigung des weiblichen Geschlechts findet, wo man sie nach Trivers und Willard erwarten würde. Entgegen landläufiger Ansicht ist die Favorisierung von Jungen gegenüber Mädchen nämlich kein Allgemeingut. Es gibt im Gegenteil eine enge Beziehung zwischen dem Sozialstatus und dem Ausmaß der Bevorzugung von Söhnen. Laura Betzig von der University of Michigan wies darauf hin, daß zu Zeiten der Feudalherrschaft Fürsten ihre Söhne bevorzugten, Kleinbauern aber ihren Besitz eher an ihre Töchter weitergaben. Während die Feudalherren ihre Töchter töteten, vernachlässigten oder in Klöster verbannten, hinterließen die Familien in den unteren Schichten ihnen ihren Besitz. Sexismus war eine Sache der Herrschenden und nicht der von der Geschichtsschreibung vernachlässigten Massen. 73
Sarah Blaffer Hrdy von der University of California in Davis erklärt, aus allen verfügbaren historischen Quellen werde deutlich, daß Söhne in der obersten gesellschaftlichen Klasse weit stärker
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