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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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favorisiert wurden als in anderen Schichten: bei den Großbauern im Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts ebenso wie bei den indischen Kasten des neunzehnten Jahrhunderts, bei den verzweigten Sippen im mittelalterlichen Portugal ebenso wie bei testamentarischen Verfügungen im heutigen Kanada und bei den Hirtengesellschaften im heutigen Afrika. Diese Begünstigung erfolgte in Gestalt des Vermächtnisses von Land und Wohlstand, aber auch in Gestalt einfacher Fürsorge. Noch heute wird in Indien Mädchen häufig weniger Milch gegeben und weniger medizinische Pflege zuteil als Jungen. 74
    Andernorts werden in unteren Schichten aber auch heute noch Töchter bevorzugt. Ein mittelloser Sohn ist oft gezwungen, alleinstehend zu bleiben; eine mittellose Tochter aber kann einen reichen Mann heiraten. Im heutigen Kenia bringen die Angehörigen des Mukogodo-Stammes im Falle einer Krankheit ihre Töchter bereitwilliger zum Arzt als ihre Söhne, so daß mehr Töchter das vierte Lebensjahr überstehen als Söhne.
    Vom Standpunkt der Mukogodo-Eltern ist das durchaus vernünftig, können doch ihre Töchter in die Haushalte reicher Samburu- und Massai-Männer einheiraten und es damit zu Ansehen bringen, während ihre Söhne die Mukogodo-Armut erben. Nach der Arithmetik von Trivers und Willard sind in solchen Fällen die Töchter bessere Garanten für eine hinreichende Anzahl an Enkeln als Söhne. 75
    Mildred Dickemann von der California State University stellte fest: Die Vergabe der Ressourcen an Söhne ist in einer stark geschichteten Gesellschaft die sicherste Investition, die reiche Leute tätigen können. Das beste Beispiel stammt aus Dickemanns eigenen Untersuchungen der traditionellen Heiratsbräuche in Indien: Das brutale Verbrechen, weibliche Säuglinge zu töten, gegen das die Briten vergeblich vorzugehen versuchten, korrelierte mit einem relativ hohen Sozialstatus in der sehr stark geschichteten indischen Gesellschaft des neunzehnten Jahrhunderts. Angehörige höherer Kasten töteten ihre Töchter häufiger als Angehörige niederer Kasten. Es gab eine Sippe sehr wohlhabender Sikhs, die all ihre Töchter tötete und vom Erbe ihrer Frauen zehrte. 76 Auch andere Theorien versuchen, diese Muster zu erklären. Den nachhaltigsten Einfluß hat dabei die Überlegung, daß es eher ökonomische denn fortpflanzungstechnische Gesichtspunkte sind, nach denen ein bestimmtes Geschlecht bevorzugt wird. Jungen können später ein Auskommen haben und auch ohne Mitgift heiraten. Solche Überlegungen aber versagen gänzlich, wenn es darum geht, die Verknüpfung mit dem Sozialstatus zu erklären. Denn danach müßten die unteren Klassen Söhne bevorzugen, und nicht die oberen, da sich die unteren Töchter am wenigsten leisten können. Sollte aber die Anzahl der Enkel das entscheidende Kriterium sein, sind die indischen Heiratspraktiken durchaus erfolgversprechend. In ganz Indien galt es immer als unbestrittene Tatsache, daß Frauen eher in höhere soziale und ökonomische Verhältnisse »hinaufheiraten« können als Männer, so daß es Töchtern armer Leute mit größerer Wahrscheinlichkeit gutgehen wird als den Söhnen. In Dickemanns Analyse stellen Mitgiften eigentlich nichts anderes dar als ein verzerrtes Echo des Trivers-Willard-Effekts in einer Art mit weiblicher Exogamie: Söhne erben den zur Fortpflanzung nötigen Sozialstatus; Töchter müssen ihn erwerben.
    Wenn Sie keinen Reichtum zu vererben haben, werden Sie alles tun, was in Ihrer Macht steht, um Ihrer Tochter einen guten Ehemann zu beschaffen. 77
    Trivers und Willard postulieren, daß die Begünstigung des männlichen Geschlechts in einem Teil der Gesellschaft durch die Begünstigung des weiblichen Geschlechts in einem ganz anderen Teil ausgeglichen werden muß, und sei es nur aus dem Grunde, daß nur Mann und Frau zusammen Kinder zeugen können, wieder einmal die Fisher-Logik. Bei den Nagern scheint die Begünstigung des Geschlechts vom Zustand der Mutter abzuhängen, bei den Primaten vom sozialen Rang. Doch Paviane und Klammeraffen gehen von einer streng hierarchisch strukturierten Gesellschaft aus. Menschen tun das nicht. Was geschieht in einer modernen, relativ gleichberechtigten Gesellschaft? Im gesellschaftlich vergleichsweise unstrukturierten Kalifornien konnten Hrdy und ihre Mitarbeiterin Debra Judge in den Testamenten Verstorbener bislang keine wohlstandsabhängige Bevorzugung des einen oder des anderen Geschlechts feststellen. Vielleicht ist die alte elitäre

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