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Eros und Evolution

Eros und Evolution

Titel: Eros und Evolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ridley
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Gewohnheit, Jungen den Mädchen vorzuziehen, infolge der Auseinandersetzung mit dem Thema Gleichberechtigung inzwischen doch verschwunden. 78
    Doch es gibt eine andere, schwerwiegendere Konsequenz moderner Gleichberechtigung. In manchen Gesellschaften scheint die Begünstigung des männlichen Geschlechts von der herrschenden Schicht auf die Gesamtgesellschaft übergegriffen zu haben. Die besten Beispiele hierfür sind China und Indien. In China hat die Politik des Einzelkindes vermutlich zum Tode von siebzehn Prozent aller Mädchen geführt. Sechsundneunzig Prozent aller Frauen in einem indischen Krankenhaus, denen mitgeteilt wurde, daß sie eine Tochter erwarteten, entschieden sich für eine Abtreibung, während nahezu einhundert Prozent aller Frauen, die Söhne erwarteten, diese austrugen. 79 Das heißt nichts anderes, als daß eine leicht zugängliche Technik, die es Menschen ermöglicht, das Geschlecht ihres Kindes zu beeinflussen, tatsächlich das Geschlechterverhältnis innerhalb der Population verschieben würde.
    Das Geschlecht des eigenen Kindes festzulegen ist eine individuelle Entscheidung, die für niemanden sonst Konsequenzen hat, außer für einen selbst. Weshalb haftet dieser Vorstellung dann ein so schlechtes Image an? Die Tragödie des kleinen Mannes: ein kollektiver Schaden, entstanden aus der möglicherweise verständlichen Wahrnehmung individueller Interessen durch den einzelnen. Jemand, der beschließt, nur Söhne haben zu wollen, fügt niemandem Schaden zu. Wenn sich aber jeder dazu entscheidet, dann leidet auch jeder darunter. Die düsteren Prognosen für einen solchen Fall reichen von einer männlich dominierten Gesellschaft, in der jeder von Vergewaltigung, Gesetzlosigkeit und einer allgemein zügellosen Mentalität bedroht wird, bis hin zu einem weiteren unaufhaltsamen Anstieg männlicher Dominanz in einflußreichen Positionen. Die sexuelle Frustration als Los vieler Männer wäre noch das geringste Übel.
    Um die kollektiven Interessen auf Kosten des einzelnen zu schützen, wurden Gesetze erlassen – genauso wie das Crossing-over erfunden wurde, um gesetzlose Gene in Schach zu halten. Wäre die Geschlechtswahl ein billiges Verfahren, dann würde das Parlament mit Sicherheit ein Gesetz zur Erhaltung eines Geschlechterverhältnisses von eins zu eins über die Menschheit verhängen – genauso wie das Parlament der Gene die unparteiische Meiose eingeführt hat.

FÜNF
PFAUENFEDERN
    Ja, ja! du sahst sie schön, doch in Gesellschaft nie;
Du wogst nur mit sich selbst in jedem Auge sie;
Doch leg einmal zugleich in die kristallnen Schalen
Der Jugendreize Bild, wovon auch andere strahlen,
Die ich dir zeigen will bei diesem Fest vereint;
Kaum leidlich scheint dir dann, was jetzt ein Wunder scheint.
    Shakespeare, Romeo und Julia, Erster Akt, zweite Szene
     
    Das australische Buschhuhn baut die besten Komposthaufen der Welt. Jedes Männchen schüttet einen Hügel aus zwei Tonnen Blättern, Zweigen, Erde und Sand auf. Ein solcher Hügel hat die richtige Größe und Form, um in seinem Inneren genau die Temperatur entstehen zu lassen, in der ein Ei langsam zum Huhn heranreift. Die Hennen suchen die Hügel der Hähne auf, legen ihre Eier hinein und verschwinden.
    Nach dem Schlüpfen kämpfen sich die Jungen allmählich zur Oberfläche des Hügels durch und verlassen ihn, bereit, für sich selbst zu sorgen.
    Um mit Samuel Butler zu sprechen (»eine Henne ist nur das Mittel, mit dem ein Ei ein anderes Ei erzeugt«): Wenn Eier das Mittel sind, mit dem ein Weibchen zu einem neuen Buschhuhn beiträgt, dann ist der Hügel nichts anderes als das Mittel, mit dem das Männchen dazu beiträgt. Der Hügel ist nahezu in demselben Maße ein Produkt seiner Gene, wie das Ei ein Produkt ihrer Gene ist. Im Gegensatz zum Weibchen bleibt für das Männchen jedoch eine gewisse Restunsicherheit bestehen. Woher soll er wissen, daß er tatsächlich Vater der schlüpfenden Küken in seinem Hügel ist? Wie australische Wissenschaftler vor kurzem festgestellt haben, lautet die Antwort, daß er es erstens nicht weiß und daß er zweitens oftmals auch gar nicht der Vater ist. Weshalb also häuft er riesige Hügel für die Kinder anderer Väter auf, wenn der Witz der sexuellen Fortpflanzung doch darin besteht, den eigenen Genen den Weg in die nächste Generation zu ebnen? Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, daß das Weibchen nur dann ein Ei in seinen Hügel legen darf, wenn es sich vorher mit ihm gepaart hat: Das ist die

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