Eros
er Talent besaß oder
nicht, rückt in den Hintergrund vor so viel Passion. Er entwarf Kirchen,
Brücken, Parkanlagen … Alles für die Schublade. Oder für eine ferne Zukunft –
nach dem Krieg.
Im Eispalast waren eine Köchin, zwei Putzfrauen, ein Diener, ein
Gärtner und drei Erzieher angestellt. Kein Chauffeur. Das lohnte sich nicht.
Papa fuhr immer selbst, wenn er fuhr, auch wenn das unsere Mutter entsetzlich
fand. Mama litt unter gelegentlichen Ohnmachtsanfällen. Niedriger Blutdruck.
Das war ihr peinlich, aber ansonsten ging es uns gut, mustergültig gut. Ein
viertes Kind hätte ihr das bronzene Mutterkreuz beschert; sie legte keinen Wert
darauf.
Es ging uns so gut, daß Papa in jedem Jahr Familienfotos
knipsen ließ und diese, wie Kunstwerke gerahmt, an die Wendeltreppe zum ersten
Stock nageln ließ. Wir waren, glaube ich, tatsächlich eine Art
symbolbefrachtetes Kunstwerk für ihn, und wenn eines von uns Kindern sich nicht
kunstgerecht gebärden wollte, tadelte er es mehr aus ästhetischen denn aus
pädagogischen Motiven.
Meine Schwestern bekamen Klavierunterricht. Ich, weil ich mich wenig
musikalisch gezeigt hatte, mußte die Posaune erlernen, ein Instrument, welches
mein Vater als »auch mit geringer Neigung bald beherrschbar« ansah. Wenigstens ein Instrument zu beherrschen, sei für jeden Kulturmenschen Bedingung. Ebenso legte
er Wert auf alte Sprachen sowie eine fundierte theologische Ausbildung. Nicht,
weil er sehr gläubig gewesen wäre, sondern weil er die Theologie für den
Nährboden eines, so drückte er sich aus, höheren philosophischen
Auseinandersetzungswillens mit der Welt ansah, ähnlich heutigen Eltern, die
ihre Kinder wieder zum Konfirmationsunterricht schikken, nur um
sicherzustellen, daß aus ihnen später gute Atheisten werden.
Unser Familienleben wurde von meinem Vater raffiniert durchdacht,
von meiner Mutter loyal unterstützt. Was sie nicht begriff, machte sie durch
Gehorsam und Hingabe gut. Oft beobachtete ich Papa, wie er die Stirn senkte
und, von der Auffassungsgabe seiner Gattin frustriert, Ablenkung in einem
Teppichmuster suchte, wie er dann Trost dadurch empfing, daß jenes geborene
Freifräulein von Hohenstein, ein solches war meine Mama, keiner Anordnung zu
widersprechen wagte. Oh, ich begriff, welche Anstrengung meinen Vater jenes
Dasein als Oberhaupt einer mustergültigen Familie kostete, begriff auch,
welchen Stolz er am Ende eines Tages neben sein Kissen bettete, er, dieser
gebildete, künstlerisch veranlagte Mensch, der, nach schlichten Prämissen,
alles Wesentliche geschafft hatte, der reich war, geachtet und geschmackvoll,
der die Pflicht zum Nachwuchs in Einklang gebracht hatte mit einem Leben in
geheimer Überhöhung. Gut, natürlich lüge ich hemmungslos, natürlich begriff ich
es damals nicht wie heute, natürlich war ich ein undankbarer Pimpf, der sich
unreine Reime auf alle Dinge erlaubte und feist in unbewußtem Wohlstand
dahinlebte.
Meine Schwestern hatten Glück. Sie wären geistig ernsthaft nur
ausgebildet worden, wäre mir etwas zugestoßen. So konnten sie dumm bleiben und
sich an vielerlei kleinen Dingen freuen. Mein Vater machte keinen Hehl aus
seiner Geringschätzung des weiblichen Geschlechts, jedoch tat er es als etwas
Bedauernswertes ab, was geändert werden müßte, wenn es denn je geändert werden könnte .
Insofern war er mit seiner Gattin recht zufrieden. Zeigte keine
Ambition, ihr mehr zuzumuten oder beizubringen als nötig. Mich dagegen
behandelte er wie seine liebste Rippe, aus der sein Ebenbild geschnitzt werden
müßte. Weihte mich ein in die Mysterien germanischer Hochkultur – was ich
damals, unter uns gesagt, todlangweilig fand.
Was mir mein Vater vor allem beibringen wollte, war eine Form der
Würde, die in der Größe erhaben, in der Not stoisch reagierte, und sich immer
um die eigene Wirkung mehr bewußt war als um das eigene Wohlergehen, ganz und
gar auf Äußerlichkeit bedacht, so, als sei der Mensch nichts, ohne Menschen,
die ihn beurteilten. Alles, was mein Vater tat, tat er wie unter Beobachtung
einer strengen Jury, die Haltungs- und Charakternoten vergab. Individualität
schien ihm etwas zu sein, dem man sich erst nach der Vorstellung,
quasi in seinen Privaträumen hingeben durfte, selbst dann nicht unkontrolliert.
Vielleicht bin ich zu hart im Zusammenreimen meiner Erinnerungen, aber mir
meinen Vater ausgelassen vozustellen, von reiner, lärmender Freude beseelt,
dazu reicht meine Phantasie nicht hin. Ich glaube, er litt
Weitere Kostenlose Bücher