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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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daran, daß er nie
auf eigenen Füßen stehen mußte, daß er von der Wiege auf in eine Ordnung
hineinwuchs, die zu verweigern es keinen vernünftigen Grund gab. Er mußte nie
etwas aus sich machen, mußte nur zum bereits Vorhandenen passen, eine ihm
angewiesene Leerstelle ausfüllen. Dies tat er mit Glanz und Bravour, und erst
als seine Welt aus den Fugen geriet, fand er sich vor Entscheidungen gestellt,
mit denen sein Denken nicht mehr zurechtkam.
    Von seinen architektonischen Entwürfen wurde so gut wie nichts
verwirklicht, was nichts besagt, da es ihm um die Realisierung seiner Ideen ja
gar nicht ging. Seine Kreativität begnügte sich mit Papier, Rechenschieber und
Bleistift. Mir, im Gegensatz zu den Papageien, zeigte er manchmal die Skizze
eines Theaters, einer Parkanlage, einer Gartenbrücke. Ich war alt genug, um zu
begreifen, daß ich diese Dinge noch nicht begreifen mußte, ja durfte, daß ich
sie ausschließlich zu sehen bekam, um auf meinen Vater stolz zu sein, nicht, um
über sein Werk ein Urteil abzugeben.
    Mein Vater war ein Humanist und überzeugter Deutscher. Den Nazis
gegenüber keineswegs von blinder Hingabe, dennoch aufgeschlossen, überrascht
von ihren Erfolgen. Das deutsche Reich in den Grenzen von ’42 nötigte ihm
Vergleiche mit Rom unter Traianus ab. Er fand das auf gewisse Weise großartig,
einmal äußerte er, sinngemäß, die Deutschen gäben dem Wort Geschichte seine alte
Wucht und Dimension zurück.
    Nun ja. Ich übte Posaune. Sehr ungern. Meine Mutter sagte mir, daß
es nun mal so sein müsse. Weil es eben ist, wie es ist. Damals klang das
logisch. Die Posaune besitzt den Vorteil, daß man lesen kann, während man
bläst.
    Einmal wurde ich beim Lesen vor lauter Posaunespielen ohnmächtig.
Die Papageien rannten in mein Zimmer, nahmen mir das Buch weg, ich kam wieder
zu mir, rannte ihnen hinterher. Unten an der Treppe stand mein Vater, mit dem
Buch in der Hand. Es war Justine , vom Marquis de Sade. Ich hatte das Buch aus
seinem Giftschrank gestohlen. Nun – er hätte mich nie geschlagen. Leibliche Berührung war ihm
immer etwas unangenehm. Er verschloß das böse Buch im Giftschrank und redete
zwei Wochen nicht mit mir. Vielleicht hatte er Angst vor einer Aussprache. Ich
hätte ihn schließlich fragen können, weswegen er dieses Buch besaß.
    Mama zeigte Sorge, daß ich von ihr die Neigung zur Ohnmacht geerbt
hätte, und ich mußte fortan nicht mehr so viel Posaune üben. Aber mit De Sade
war’s aus. Mir blieb nur ein medizinischer Atlas, mit dem Schemen eines
weiblichen Körpers darin, der Harnröhre und Leber in derselben Farbe
darstellte. Zwei Wochen später dann sagte mein Vater zu mir:
    »Denk daran, daß du ein Deutscher bist. Dürer schaut auf dich herab!«
Und er zeigte auf einen Druck in der Diele, Dürers Selbstbildnis, mit langem
Haar, ich glaube, es war ein Ersatz, weil er Jesus nicht so ganz leiden konnte. Dürer schaut
auf dich herab! Das wurde irgendwann, selbst für meine flachen
Schwestern, zum geflügelten Wort, über das man heimlich lachte, beim Lachen
aber Scham empfand und Verbotenheit. Wie man irgendwann aufs Feld geht und
ruft: Gott, du
bist ein blöder alter Gauch! Und kein Blitz fährt hernieder, weil
Gott gerade nicht hingesehen hat. Dürer dagegen sah immer herab.
    Daß ich von drei Privatlehrern unterrichtet wurde, war schlimm und
langweilig genug, aber zu allem Übel war es meinem Vater eingefallen, mich,
gegen meinen Willen und ohne Angabe von Gründen, vor der Hitlerjugend zu
bewahren.
    »Hast du eine Ahnung«, fragte er, »was ich unternehmen mußte, um dir
das zu ersparen?«
    Ich begehrte patriotisch auf, wollte Pimpf sein und in Zelten
schlafen, liederschmetternd den Wimpel meines Fähnleins durch Wotans dunkle
Wälder tragen. Und ein Fahrtenmesser haben. »Ich will aber! Alle sind dabei!«
    Er duldete keine Diskussion, schob mich in die Arme meiner Mutter,
die mir dringend riet, zu schweigen, es sei nun einmal, wie es sei, und nichts,
was ich täte und sagte, könne die Entscheidung meines Vaters noch ändern.
    »Glaub mir«, sagte sie stets, »ich kenne ihn länger als du.«
    Sein Steckenpferd war romanische Architektur, speziell
jene in Oberbayern, ich glaube, er träumte davon, daß die Architektur
irgendwann einmal neoromanische Züge tragen könnte, und er dann ihr
staatsbeauftragter Experte und oberpriesterlicher Baumeister werden würde –
eine Verrücktheit? Gewiß, aber in Anbetracht der Machtverhältnisse schien
überhaupt nichts verrückt

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