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Eros

Eros

Titel: Eros Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Stellen sehr direkt, ja grob
zu werden, die Grobheit aber sofort wieder zurückzunehmen, dem Beleidigten
aufzuhelfen, bis dieser die Beleidigung nicht nur verzieh, sondern die
nachgereichte Entschuldigung beinahe als Auszeichnung empfand. Eine Taktik, die
mir von diversen Verlegern her vertraut war.
    Sein rechtes Augenlid funktionierte zeitweise nicht mehr richtig,
hing schlaff, das Auge halb bedeckend, herab. Ansonsten bot er ein tadelloses
Bild, schlank, hochgewachsen, die Gesichtszüge straff und gebräunt. Das
granitgraue Haar schuppte ein wenig, hin und wieder wischte er beiläufig über
eine seiner Schultern, immer nur über eine von beiden, die flüchtige Bewegung
sollte nicht auffallen. Er trug einen betont schlichten dunkelblauen Anzug,
ohne Krawatte, darunter ein kragenloses graues Hemd von fast priesterlichem
Schnitt.
    War es an mir, etwas zu sagen? Von Brücken zog eine Schublade des
Schreibtischs heraus, stellte zwei Rotweingläser auf die ins Holz eingelassene
Lederfläche.
    Ob ich Lust auf einen guten Schluck hätte, fragte er und wartete
meine Antwort nicht ab, schwenkte plötzlich eine Flasche in der Hand, die auf
dem Boden gestanden haben mußte.
    »Ein Petrus
1912 . Haben Sie derlei schon mal getrunken?«
    Nein, hatte ich nicht. Ich empfand die Frage als protzig bis
demütigend, bis ich an seinem Lächeln ablas, daß sie so nicht gemeint gewesen
war. Er schenkte beide Gläser halbvoll, reichte mir eines.
    »Ich habe diesen Wein vor fast sechzig Jahren schon einmal
getrunken, mein Vater ließ mich am Abend des 14. November 1944 einen Schluck
davon kosten. Welche Verschwendung, damals. Ich trank, verständnislos, war
danach leicht beschwipst, von Genuß konnte indes keine Rede sein. Wissen Sie,
ich möchte ungern Metaphern bemühen, aber –«
    Er nippte. »Oft scheint mir, daß die meisten Menschen das Leben
trinken, wie ich damals als Vierzehnjähriger diesen Wein. Es wird einem gesagt,
daß da etwas ganz Besonderes, sehr Kostbares sei, und man gibt sich alle Mühe,
nicht undankbar oder zu jung oder ignorant zu erscheinen, aber –«
    Er führte den Satz nicht zu Ende. Es war auch nicht notwendig.
Notwendiger vielleicht war zu erwähnen, daß jener Wein, der legendäre Petrus
von 1912, zwar köstlich schmeckte, aber nicht so überirdisch, wie es seiner
Legende entsprochen hätte. Es fällt mir schwer, das so zu sagen, aber – der
Wein ließ mich reichlich kalt. Von Brücken las meinen Augen die Enttäuschung
prompt ab, schmunzelte und sagte:
    »Nicht wahr, es ist nur Wein ?«
    »Na und?«
    Wie störrisch ich gewesen bin. Wie eitel.
    Von Brücken stellte ein Tonband auf den Schreibtisch,
schaltete es an. Und schaltete es wieder ab.
    »Ich bin ungeduldig. Es ist heute abend nicht die richtige Zeit.
Lukian wird Ihnen Ihr Zimmer zeigen. Falls Sie etwas benötigen, was Sie dort
nicht finden – Lukian wird es Ihnen besorgen. Und haben Sie keine Bedenken.
Lukian ist gewohnt, Wünsche jeder Art zu erfüllen. Morgen früh werden wir uns
hier treffen. Und die Geschichte wird beginnen. Geben Sie dem Wein dann eine
zweite Chance. Wenn man die überzogene Erwartungshaltung erst abgelegt hat,
hält er, was seine Legende verspricht.«
    War das nur auf den Wein bezogen oder wieder metaphorisch gemeint?
Der alte Mann lächelte zweideutig. Als sei er die ganze Zeit im Raum gewesen,
stand plötzlich Keferloher hinter mir, der Privatsekretär. Ich nickte kurz,
bedankte mich, folgte Keferloher ins Treppenhaus, stellte, in meinem Zimmer
angekommen, vor mir selbst klar, noch keinerlei Einverständnis signalisiert zu
haben. Daß ich hier übernachten würde, war selbstverständlich, schon wegen des
Wetters, das allein bedeutete nichts. Vielleicht hätte ich gerne ein paar Worte
über das Honorar gewechselt. Von Brücken schien daran keinen Gedanken zu
verschwenden. Und warum verschwendete ich daran soviele Gedanken, wenn ich
innerlich nicht längst zugesagt hatte?
    Ein Roman. Den ich erst veröffentlichen dürfte, wenn von Brücken
gestorben war. Den ich aber fertigstellen müßte, bevor er sterben würde,
damit er ihn noch lesen könnte. Oder? Interessanter Punkt. Ich würde mich unter
keinerlei Zeitdruck setzen lassen. Würde mich allzu feudalistischen Bedingungen
strikt verweigern.
    Das Zimmer, in das Keferloher mich führte, machte einen angenehm
erkerhaften Eindruck, rund, mit kleinen Fenstern in zweieinhalb
Himmelsrichtungen. Das Bett war groß, ein Tisch sehr breit, ein Sessel sehr
bequem, ein Kühlschrank

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