Eros
eine Möglichkeit geben, Sofie nahe zu
sein.
Von nun an war alles anders. Wenn ich die Sirenen hörte, zuerst war
es ein auf- und abschwellender Heulton von einer Minute Länge, später zwei auf-
und abschwellende Heultöne von insgesamt acht Sekunden Dauer, eine höllische
Musik, aber, wissen Sie was:
Mein Herz juchzte, und wenn es Abend war, juchzte es noch lauter,
quiekte wie ein glückliches Schwein, denn – wir würden vermutlich die ganze
Nacht im Luftschutzkeller verbringen, ich oben auf dem Stockbett, mit anderen
Kindern aus meiner Straße, und wenn ich es ein bißchen arrangierte, würde ich
mit ihr, meiner Geliebten, die ganze Nacht in einem Bett zubringen. Welcher
Vierzehnjährige kann das von sich behaupten! Wenn eine Bombe in der Nähe
explodierte, würde ich einen Vorwand haben, Sofies Hand zu halten. Sie gehörte
zu einer jener Familien in unserer Straße, die nicht arg viel zu verlieren
hatten, die umso inniger um jenes bißchen beteten. Ich wünschte mir jede Nacht
einen Bombenhagel. Oh, wie ich sie liebte! Wie man eben liebt, wenn man es
nicht gewohnt ist. Nicht? Sie kennen das? Natürlich. Heute scheint mir, es war
da plötzlich eine Liebe in mir, vielmehr der Wille zur Liebe, der, nachdem er
sich in mir eingenistet hatte, nach einem Opfer Ausschau hielt, nach dem
erstbesten hübschen Mädchen, kann schon sein, nicht? Plötzlich wollte ich nicht
mehr zur HJ. HJ – das war für Kleinkinder. Ich hatte ein Ziel, einen Sinn, ein,
wenn auch noch vages Gefühl.
Ich erinnere mich an jene Nächte so gut. Meine Mutter, die sich unwohl
fühlte zwischen den einfachen Menschen und nicht reden wollte, mein Vater in
stoisch ausdrucksloser Haltung. Wir Kinder, in Schuhen und voller Bekleidung,
mein Herzschlag, ferne Bombeneinschläge, die schlafende Sofie – sie war so jung
und schlank, hatte schon sichtbare Brüste, und ihr Haar, damals mußte es
heißen: ihr Zopf – ihr rotbrauner Zopf reichte bis zum Steiß hinab.
Ihr Körper war ein Zauberbild aus wundervollen Biegungen. Dieser
riesige, zugleich bodenlos lächerliche Zauber der ersten Verliebtheit.
Wenn Haut zu leuchten beginnt, nur weil sie über den Schädel eines
Mädchens gespannt ist, an dem prima vista nichts auszusetzen ist. Diese
austauschbare Verliebtheit, die irgendeine Dahergelaufene trifft, sich aber zu
solch maßloser Intensität aufschwingen kann und Ekstase – und man Erwachsene
für verblödet oder tot hält, weil sie über einen dümmlich grinsen und
offensichtlich keine Ahnung von der Liebe haben. Wenn sie schlief, suchte ich
nach abgefeimten Tricks, wie ich mir eine Berührung erschleichen könnte, ohne
den Verdacht zu erregen, verliebt zu sein. Sie kennen das? Na, wer nicht? Es
gab auch ausgedachte Tricks für künftige gemeinsame Bäder im Fluß, gemeinsame
Duschen oder Neumondwanderungen im Wald.
Der Traum, einmal ihre nackten Schultern zu sehen. Aber wir – ihre
Schultern und ich – gingen ja nicht einmal ins Kino zusammen. Wir lagen zwar
des öfteren in einem Bett, aber, so blöd es klingt, nah kamen wir uns nie. Ich
summte Liebeslieder, lautlose Liebeslieder, deren Text ich vergessen habe, sang
in mich hinein, nächtelang, wurde nicht müde, meine Liebe mit Liedern zu
preisen, es war, wie es sein soll, und ich träumte, ganz Deutschland würde
explodieren, nur wir zwei lägen, lebendig verschüttet, irgendwo in restwarmer
Asche, die Luft ginge uns aus und ich spendete ihr meinen letzten Atem in einem
langen Kuß – solches Zeug, ich nehme nichts davon zurück, nein, es war gut so
und herrlich.
Ich werde Ihnen Sofie nicht genauer beschreiben. Beschreiben Sie sie, aber so, daß jeder sich angesprochen fühlt. Sie war ja nichts Besonderes,
damals bestimmt nicht. Außer für mich.
Sie müssen Farben für Sofie finden, wie kein Maler sie je angerührt
hat. Müssen Wörter finden, die Götter den Dichtern nur in stillsten Stunden
übereignen, und Sie müssen, ach nein, es ist alles Unsinn, was ich sage,
Vermessenheit, nein, schreiben Sie, eine schöne, sehr junge Weiblichkeit,
punktum, jeder soll sich genau jene vorstellen können, die er für die Schönste
hält, einen gewissen Zauber kann man nur teilen, mitteilen, indem man
Feinheiten verschweigt, sehen Sie mich nicht so herablassend an, ich weiß, Sie
werden das gut machen, ja.
Echte Freunde besaß ich zwei. An ihre Gesichter kann ich mich heute
nicht mehr erinnern. Dafür an ihre Geschlechtsteile. Alfons hatte einen sehr
langen, gekrümmten, fast violetten Penis, Bodo
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