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nachvollziehbar gewesen, bis auf die letzten beiden.
Wer behauptete, wie Leute es häufig taten, Abdallah Jones sei für den MI 6, was Osama bin Laden für die CIA gewesen war, übersah Olivias Ansicht nach ein paar wichtige Punkte. Es war richtig, dass Jones für den MI 6 das Ziel mit der höchsten Priorität darstellte. So weit stimmte der Vergleich. Darüber hinaus war es jedoch, wie Olivia bei jeder Gelegenheit betonte, insofern gefährlich, Jones mit bin Laden zu vergleichen, als dadurch die Bedrohung, die von ihm ausging, verharmlost wurde. Bin Ladens beste Tage waren am 12. September vorbei gewesen. Als einer der berühmtesten Männer der Geschichte hatte er den Rest seines Lebens zusammengekauert in verschiedenen Schlupfwinkeln verbracht und sich selbst im Fernsehen angeschaut. Jones dagegen war über die Grenzen des Vereinigten Königreichs hinaus kaum bekannt, und obwohl er vor seinem dreißigsten Geburtstag bei acht verschiedenen Anschlägen hundertdreiundsechzig Menschen in die Luft gejagt hatte, zweifelte kaum jemand daran, dass er in Zukunft noch wesentlich mehr töten würde.
Da er sich jetzt außerhalb des Vereinigten Königreichs aufhielt und wohl kaum zurückkommen würde, musste er in irgendeinem anderen Land gefasst werden.
Ziemlich unangenehm.
Zum Glück gab es da diesen MI 6, eine Einheit, deren Zweck darin bestand, an Orten zu operieren, die zufällig nicht zum Territorium des Vereinigten Königreichs gehörten. Als Olivias Chefs dort sie nun aufforderten, Berichte über Abdallah Jones zu schreiben, ging es ihnen nicht darum, seine bereits enorme Akte noch weiter aufzublähen. Sie wollten einfach herausfinden, auf welchem Weg man ihn fassen oder töten konnte.
Olivia hatte das alles für eine rein theoretische Angelegenheit gehalten, jedenfalls was sie betraf. Ihre Sprachen waren Englisch, Mandarin, (weniger) Russisch und (noch weniger) Walisisch. Das machte es eher unwahrscheinlich, dass sie an den Orten, wo Abdallah Jones sich vornehmlich herumtrieb, einen Posten als verdeckte Agentin bekäme. Daher schien all ihren sorgfältig gestalteten Exposés und PowerPoint-Präsentationen darüber, was für ein schlechter Schauspieler Jones war und welche Bedeutung seiner Verfolgung zukam, nicht ein Hauch von Eigennutz anzuhaften; der MI 6 konnte Jones sein gesamtes Jahresbudget hinterherwerfen, ohne dass es Olivia Halifax-Lin auch nur ein bisschen mehr Budgetverantwortung oder einsatzbedingten Ruhm eingebracht hätte.
Nach einer Schießerei in Mindanao, der mehrere Angehörige amerikanischer und philippinischer Spezialkräfte zum Opfer gefallen waren, war Jones für ein paar Monate nach Manila gegangen, um dann zwei Stunden vor einer Polizeirazzia aus der Stadt zu verschwinden, wo er eine voll einsatzfähige, vorsorglich mit einer versteckten Sprengladung versehene Bombenwerkstatt hinterlassen hatte. Indizien deuteten darauf hin, dass er auf einem Fischkutter nach Taiwan übergesetzt sein musste. Die chinesisch sprechende Welt war normalerweise nicht Schauplatz islamischen Terrors, und so konnte man nur mutmaßen, warum er sich nach Taiwan begeben und was er dort getan hatte.
Nach sechs Monaten, in denen er sich ausgesprochen unauffällig verhalten hatte, hatte er den Sprung über die Meerenge ausgerechnet nach Xiamen gemacht.
So vage das auch geklungen haben mochte, es war eine unglaublich genaue und konkrete Geheimdienstinformation, die auf die Existenz außerordentlicher Quellen und Methoden schließen ließ. Obwohl Olivia das von niemandem explizit erfahren hatte, lag die Annahme nicht fern, dass der MI 6 einen Informanten in Pakistan haben musste, der in die mobile Kommunikation zwischen Jones und seinen Al-Qaida-Kontakten eingeweiht war.
So viel wusste sie jedenfalls mit Sicherheit: Durch diesen Kanal hatte der MI 6 den Namen einer Stadt (Xiamen) und zwei Handynummern bekommen. Mithilfe von Funkerkennungsgeräten hatte man nach der digitalen Signatur dieser Handys gesucht und nach und nach den Ort, wo sie benutzt wurden, eingegrenzt. Vieles davon war in Kooperation mit amerikanischen Dreibuchstaben-Behörden geschehen, mittels reiner Signalaufklärungstechnik: Satelliten, Abhörposten auf der nahegelegenen taiwanesischen Insel Kinmen und Fernbedienungsgeräte, die in Xiamen von Vertragsagenten verteilt wurden, die natürlich keine Ahnung hatten, was sie da taten oder für wen sie arbeiteten.
Diese ganze Phase der Operation beruhte auf der Prämisse, die als Erstes von Olivia
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