Error
Fatalisten, die glaubten, Gott auf ihrer Seite zu haben. Russen dagegen waren auf etwas andere Weise fatalistisch, indem sie glaubten oder jedenfalls stark vermuteten, dass sie so oder so die Arschkarte hatten und es dann schon besser war, das Beste daraus zu machen, ohne dass sie darin aber die Hand Gottes am Werk sahen oder die Hoffnung auf künftigen Ruhm in einem Himmel der Märtyrer hegten.
Daher war das, was ihn vorwärts- und die Treppe des Bürogebäudes hinuntertrieb, nicht irgendeine törichte Hoffnung, er könnte tatsächlich gerettet werden, sondern eine konkurrenzgesteuerte Wut darüber, dass er von den selbstmörderischen Improvisationen dieses Fanatikers ausgestochen worden war.
Csongor erkannte seinen Retter als einen der Hacker: Manu, wie sie ihn genannt hatten. »Manu« zeigte Csongor, wie er aus dem Keller durch die Hintertür aus dem Gebäude hinausgelangen konnte. Csongor folgte ihm die Gasse hinunter zu der Seitenstraße und diese wiederum bis zu deren Kreuzung mit der größeren Straße, die an der Gebäudefront entlanglief. Das brachte sie so weit von offenkundiger Gefahr weg, dass »Manu« es wagte, sich mit einem neugierigen Blick zu Csongor umzudrehen.
»Danke«, sagte Csongor.
»Ich heiße Marlon«, sagte der andere.
»Und ich Csongor.« Auf eigentümlich steife, formelle Art schüttelten sie sich die Hand.
»Was ist passiert?«, wollte Marlon wissen.
Csongor, der ihrer Fähigkeit, auf Englisch miteinander zu kommunizieren, nicht so recht traute, zuckte mit den Achseln, um anzudeuten, dass er nicht den blassesten Schimmer habe.
Nicht weit von ihnen entfernt hatte jemand gehupt. Zunächst mehrere anhaltende Huptöne hintereinander, dann eine Reihe willkürlicher leichter Schläge, die in dem Motiv »dam dada da dam – dam dam« gipfelten. Zu diesem Zeitpunkt gab es in dem Viertel viele Ablenkungen, doch schließlich drehte Csongor sich um und bemerkte den Lieferwagen, der ungefähr zehn Meter entfernt festsaß. Unter der offenen Fahrertür lugten ein paar blaue Stiefel hervor. Yuxia reckte den Kopf durch den leeren Fensterrahmen, um zu sehen, ob die beiden auf sie aufmerksam geworden waren.
»Sollen wir dich ein Stück mitnehmen?«, fragte Csongor wie ein Limousinenchauffeur, der einen Filmstar am Flughafen abholte, mit ausgestrecktem Arm auf den Lieferwagen zeigend.
Marlon zuckte grinsend mit den Achseln. »Okay.«
Als sie näher kamen, rannte Yuxia hinter der Tür hervor und hockte sich vor den Wagen, packte ein völlig verbogenes Stück rostigen Bewehrungsstahl, der vor der Stoßstange in die Luft ragte. Er steckte in einem ziemlich großen Brocken zersprengtem Beton, der den Lieferwagen am Weiterfahren hinderte und der zu schwer war, als dass sie ihn allein hätte bewegen können. Marlon und Csongor halfen ihr, das Hindernis aus dem Weg zu zerren, und stiegen dann hinten ein, während Yuxia sich ans Steuer setzte. Sie betätigte den Schalthebel und rumpelte über kleinere Trümmerteile los, die zwar für eine holprige Fahrt sorgten, die Räder aber nicht blockierten. Marlon und Csongor waren eine Zeitlang damit beschäftigt, den Betonfenstersturz zur Seitentür hinauszuschieben. Da der gesamte Rahmen des Fahrzeugs sich bei dem Aufprall verzogen hatte, schloss die Tür nicht mehr richtig, sodass Csongor sie einfach zuhielt. Marlon lag rücklings auf dem kaputten mittleren Sitz, stemmte die Füße mit aller Kraft gegen das eingedellte Dach und schob das Blech ein ganzes Stück hoch, wodurch er das Loch im Dach teilweise wieder zubog und den Platz im hinteren Teil des Lieferwagens wesentlich vergrößerte. Da seine Kraft nicht ausreichte, um das Metall noch weiter zu bewegen, lagen er und Csongor schließlich beide auf dem Rücken, traten gegen das Dach und trieben das Metall wie Schmiede nach oben. So hatten sie etwas zu tun und wurden von Yuxias Fahrstil abgelenkt, der, wenn sie auf ihn geachtet hätten, das Erschreckendste gewesen wäre, was sie an diesem Tag erlebt hatten.
»Wohin fahren wir?«, fiel Csongor schließlich ein zu fragen. Aus Yuxias Entscheidungen wurde er nämlich nicht schlau.
»Dahin, wo dieses Taxi hinfährt«, antwortete sie und wies mit dem Kopf vage auf ein Stäubchen in dem Meer aus Menschen und Verkehr vor ihnen.
»Warum?«
»Weil meine Freundin da drinsitzt«, antwortete Yuxia. Sie drehte sich zu ihm nach hinten, um ihm fest in die Augen zu blicken. »Meine Freundin und deine.«
»Schön wär’s!«, entfuhr es Csongor, ehe er die Bemerkung
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