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sie ihren Fuß das Gaspedal hatte durchtreten lassen.
»Csongor?«, rief sie. Doch er war nicht mehr in dem Fahrzeug.
Ein Handy begann zu klingeln. Nicht ihres. Es war irgendwo in der Nähe ihres Fußes …
Es steckte in ihrem Stiefel! Nachdem es heruntergefallen und im Fahrzeuginneren mehrfach aufgeprallt war, war es schließlich in der weiten Öffnung ihres blauen Stiefels gelandet. Jetzt klemmte es an ihrem rechten Knöchel. Sie zog ihren Fuß heran, griff in den Stiefel und holte das Handy heraus.
» Wei? «
» Wei? Yuxia?«
»Wer ist da?«
»Marlon.«
»Warum rufst du dein eigenes Handy an?« Sie hatte es nämlich als seins erkannt.
»Vergiss es. Geht’s dir gut?«
»Ich telefoniere doch mit dir, oder?«
»Bist du immer noch in dem Lieferwagen?«
»Ja, aber der ist …«
»Ich weiß. Ich kann ihn sehen. Du solltest besser aussteigen.«
»Warum?«
»Weil auf diesem Pier gleich die Kacke am Dampfen ist – ach du Scheiße!«
Marlon brauchte nicht zu erklären, warum er das sagte, denn jetzt konnte Yuxia hinter sich Schüsse hören. Schüsse und Sirenen.
Ihren rechten Ellbogen auf das Lenkrad gestützt, damit er das Gewicht ihres Oberkörpers trug, streckte Yuxia ihre linke Hand aus, ertastete den Türgriff und zerrte daran. Obwohl irgendwas im Inneren der Tür ein leises Geräusch machte, ging sie nicht auf. Sie musste sich bei einem der vielen heftigen Schläge des heutigen Tages verklemmt haben. Sich mit der Schulter dagegenzustemmen half auch nichts. Yuxia nahm das Handy in die andere Hand, sodass sie mit ihrer Rechten an sich hinuntergreifen und den Sicherheitsgurt lösen konnte. Prompt fiel sie nach vorne aufs Lenkrad und drückte die Hupe. »Ich ruf dich zurück«, brüllte sie, klappte das Handy zu und ließ es, in Ermangelung eines besseren Platzes, an dem sie es in dem Moment hätte verstauen können, wieder in ihren Stiefel fallen. Dann kletterte sie mithilfe verschiedener Punkte im Inneren des Lieferwagens, an denen Hände und Füße Halt fanden, hinauf auf den Rücksitz und von dort zur offenen Seitentür hinüber.
Jenseits dieser Marke würde ihr Weg sie über ein ausgesprochen gefährlich aussehendes Terrain aus zerknautschtem Taxi und gesplittertem Holz führen. Die Tatsache, dass der Airbag ihr ins Gesicht gefahren war, bewirkte, zusammen mit dem sanften Schaukeln des Schiffes, dass sie ein flaues Gefühl im Magen bekam und sich ihrer Bewegungen nicht mehr sicher war. Sie kauerte sich in den Türrahmen, während sie versuchte, das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Dabei entdeckte sie einen älteren Mann, der aus dem Ruderhaus des Schiffs nach vorne gekommen war, um sich den Schaden anzusehen, und sie ebenfalls erblickt hatte. Sie erwog, etwas zu sagen, schätzte jedoch aufgrund seines Aussehens, dass er womöglich kein Mandarin sprach. Langsam an seiner Zigarette ziehend, warf er ihr einen äußerst unfreundlichen Blick zu, den sie als kränkend empfand. Dann allerdings fiel ihr ein, dass sie gerade alles in ihrer Macht Stehende getan hatte, um sein Schiff zu zerstören, das vermutlich seine Existenzgrundlage darstellte.
Das hätte sich zu beiderseitigen Beschimpfungen oder sogar Handgreiflichkeiten entwickeln können, wären sie nicht durch das Auftauchen von zwei Gestalten über ihnen am Rand des Piers abgelenkt worden: der große Schwarze und Zula. Yuxia unterdrückte einen plötzlichen, lächerlichen Impuls, zu winken und Hallo zu rufen.
Der Schwarze sagte: »Ich zähle jetzt bis drei, und dann springe ich. Sie können springen oder auch nicht.« Angesichts der Tatsache, dass der Sprecher mit Handschellen an Zula gefesselt und viel größer war als sie, verstand Yuxia das als gemeinen Scherz und Drohung zugleich.
Am Ende sprangen sie gemeinsam und landeten ungeschickt auf einem freien, nicht beschädigten Teil des Decks. Zula schrie vor Schmerz auf und hielt sich eine blutende Faust schützend vor den Bauch. Das brachte Yuxia schließlich in Bewegung; in der Absicht, hinzugehen und zu sehen, was los war, kletterte sie aus dem Lieferwagen. Der Schwarze blickte sie neugierig an, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem verärgerten Skipper zuwandte und ihm in einer Sprache, die Yuxia nicht kannte, einen Befehl erteilte. Darauf trottete der Mann wieder in Richtung Ruderhaus.
Was für ein Schmerz Zula auch hatte aufschreien lassen, er ließ jetzt nach. Sie hob den Kopf und entdeckte Yuxia. Freude und Dankbarkeit erfüllten ihren Blick, allerdings nur für den Bruchteil einer
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