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gekostet hätte. Dann bekam er nicht nur den gelben Plastikstiel, sondern auch sich selbst in den Griff, holte erneut aus, indem er die Hüften dazu nahm, und traf genau. Die Tür explodierte förmlich. Sollte Zula gesund und munter wieder auftauchen, würde er mit ihr ein Wörtchen über physische Sicherheit reden und einen Nachmittag darauf verwenden, ihre Tür zu verstärken.
Oder, um genau zu sein, ihre Ersatztür, denn von dieser war nicht mehr viel übrig.
»Sie können die Stereoanlage jetzt runterdrehen«, sagte er zu James und Nicholas, die wie ein Mann fünf Stufen unter ihm kauerten. James und Nicholas, ein schwules Paar, wohnten unter Zula und hatten, wie sich herausstellte, fast elterlichen Anteil an ihrem Wohlergehen genommen. Im Laufe des Tages, in jenen – ha! – längst vergessenen Stunden, als Richard versucht hatte, das Ganze auf offiziellem Wege zu bewerkstelligen, hatten sie ihm versichert, er solle sich zu jeder Tages- und Nachtzeit an sie wenden, wenn es irgendetwas gäbe, was sie womöglich tun könnten, um ihm zu helfen, Zulas Verschwinden auf den Grund zu gehen. Vor drei Minuten hatte Richard ihr Angebot in mehrfacher Hinsicht auf die Probe gestellt, indem er sie spät abends herausklingelte, um zu sehen, was sie von einem richtig lauten, schlagenden und splitternden Lärm von oben halten würden. Und tatsächlich, sie hatten ihr Wort gehalten und ihm sogar angeboten, für eine Weile ihre Stereoanlage aufzudrehen, falls das helfen würde, irgendwelchen Krach zu übertönen, der den nächtlichen Frieden der umliegenden Anwesen stören könnte. Eine törichte Ehrfurcht vor offiziellen Polizeimethoden ging offensichtlich nicht mit Schwulsein einher.
Eine vermisste Nichte zu haben auch nicht.
»Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie die Lautstärke runterdrehen könnten«, sagte Richard, und dann begriffen James und Nicholas, dass er sie nur für ein oder zwei Minuten aus dem Weg haben wollte. Sie kehrten ihm den Rücken und trotteten die mit Teppich belegte Treppe hinunter. Sie bewohnten das Erdgeschoss und den ersten und Zula den zweiten Stock in einem großen alten Haus in Capitol Hill: das Viertel Seattles mit dem insofern seltsamsten Namen, als Seattle weder eine Hauptstadt war noch jemals mit etwas geschmückt war, das einem Capitol ähnelte.
Dieser Teil – in die Wohnung zu gehen und das Licht anzuschalten – war bei weitem der Schlimmste für ihn, einfach wegen dem, was vorzufinden er befürchtete. Auf einer Farm aufzuwachsen, hatte ihm ein paar unerwartete und unangenehme Anblicke beschert, die er nie so recht aus seinem Gedächtnis hatte tilgen können. Doch Zula, erstochen oder erwürgt auf dem Fußboden ihrer Wohnung, das wäre, da war er sich sicher, das Letzte, was er im Moment seines Todes vor seinem geistigen Auge sehen würde; und zwischen jetzt und dann würde es ihm immer wieder unversehens und ungebeten in den Sinn kommen.
Alles, was er stattdessen fand, war eine furiose Katze, die jaulend um einen ausgeweideten Katzenfuttersack herumschlich, dessen Inhalt sich auf dem Boden verteilt hatte. Per Ausschlussverfahren eine Klotrinkerin. Abgesehen davon war alles ordentlich: keine Essenreste stehen-, keine Lichter angelassen. Richard sah in ihrem Kleiderschrank nach und stellte fest, dass ihr Wintermantel nicht da war, er sah keine Skier und nichts von den anderen Sachen, die sie mit ins Schloss gebracht hatte. Das alles bestätigte den Verdacht, der von Anfang ziemlich stark gewesen war, dass sie nach dieser Reise gar nicht in ihre Wohnung zurückgekommen war.
Das bedeutete nicht, dass sie am Leben war, ja nicht einmal, dass es ihr gut ging. Es entschärfte aber die allerschlimmste seiner Befürchtungen. Was immer ihr zugestoßen war, konnte nicht so schlimm sein, wie das, worauf er sich vor zehn Minuten gefasst gemacht hatte.
Und es gab ihm etwas, was er nach Hause schreiben konnte. Oder wie auch immer man die Entsprechung davon im Zeitalter von Facebook nannte.
Er holte sein Handy heraus, ignorierte die vier SMS von seinem Bruder John und schrieb selbst eine: IN Z’S WOHNUNG ALLES NORMAL .
John, immer noch in Iowa, schien zu glauben, dass Richard ohne häufige Erinnerungen den Ernst der Lage vergessen würde. Die verfluchte Erfindung der Textnachrichten hatte John sämtliche Hemmungen genommen, die er gegenüber den von ihm immer noch so genannten »Ferngesprächen« je gehabt haben mochte. Das Gute daran war, dass Richard auf diese Weise Lageberichte abgeben
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