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Error

Error

Titel: Error Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Stephenson
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und an das Blut oder sonst etwas, das hinterher an ihren Fingern klebte. In dieser Nacht erschien Khalid denn auch in ihren Träumen, und sie verwendete einige Anstrengung darauf, ihn abzuwehren – nicht physisch abzuwehren, sondern halb bewusst so etwas wie eine psychische Abwehr dagegen zu errichten, dass sie sein Bild je wiedersah, denn sie spürte, dass sie ihn, wenn er tagsüber in ihren Gedanken und nachts in ihren Träumen auftauchte, niemals loswerden und – für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie so alt wurde – noch mit neunzig von ihm träumen und die Augenblicke im Heck des Jets durchleben würde.
    Sie hörte eine Art schnüffelndes, hustendes Geräusch und dachte zunächst, sie hätte im Schlaf zu weinen angefangen und hörte nun auf jene geisterhafte Weise, wie man es zuweilen an der nebligen Grenze zwischen Schlafen und Wachen erlebt, ihr eigenes Schluchzen. Etwas packte sie am Knöchel. Die Kette natürlich. Zerrte kräftig daran. In Wirklichkeit war es bloß sie selbst, die daran zog, als sie sich im Schlaf umdrehte. Aber im Traum war es ein Mann, der an ihrem Handgelenk zog. Bemerkenswert, dass im Traum ein Handgelenk an die Stelle eines Knöchels treten kann. Aber sie sah das Gesicht eines alten Mannes, der in den Höhlen in Eritrea bei ihnen gewesen und auf dem langen, barfüßigen Marsch in den Sudan mit ihnen gegangen war. Die Höhlen waren unter anderem auch ein Feldlazarett für Verwundete aus dem Krieg gegen Äthiopien. Junge Kämpfer mit Verbrennungen, Schusswunden, Splitterverletzungen tauchten auf. Die Ärzte versuchten sie zusammenzuflicken. Einige starben. Einige ließen sich nicht zusammenflicken – sie wurden Amputationen unterzogen und blieben da, bis sich irgendetwas fand, wohin sie gehen konnten. Doch es gab da auch einen älteren Mann – rückblickend wahrscheinlich nicht älter als fünfzig, mit hohlem, eingefallenem Gesicht, das ein ungleichmäßiger, grauer Bart bedeckte, und eindringlichen, hellwachen grün-grauen Augen –, der augenscheinlich gesund dort auftauchte und nicht mehr wegging. Irgendwann verstanden sie, dass es sich um einen psychisch Versehrten handelte. Jeder Erwachsene erkannte nach wenigen Augenblicken, dass er nicht ganz richtig im Kopf war. Kinder besaßen diesen Instinkt nicht. Es gab einiges, was der Mann unbedingt loswerden wollte, und nach einer Weile schien er zu lernen, dass Erwachsene einen Bogen um ihn machten, so taten, als hörten sie ihn nicht, oder ihn sogar wegscheuchten. Aber Kinder, die – was recht oft der Fall war – nicht von Erwachsenen begleitet wurden, konnten ihm ein paar Augenblicke lang Gesellschaft leisten, den sozialen Balsam spenden, den alle Menschen, auch verrückte alte Kriegsveteranen, brauchten. Seine Art, einen dazu zu bringen, dass man ihm Beachtung schenkte, bestand darin, einen am Handgelenk zu packen und daran zu ziehen, bis man gezwungen war, in seine verrückten Augen zu schauen.
    Danach hatte er dann aber nicht viel zu sagen, da er offenbar eine Kopfverletzung erlitten hatte und eigentlich keine Worte bilden konnte. Aber er konnte wild gestikulierend auf Dinge zeigen, einem in die Augen schauen und versuchen, sich verständlich zu machen. Und in dem Maße, wie die kleine Zula seinen Gedankengängen überhaupt folgen konnte, schien er sie und jedes andere Kind, dessen Handgelenk er zu fassen bekam, vor irgendetwas warnen zu wollen. Etwas wirklich Großem, Schlimmem und Angsteinflößendem, das da draußen in der Welt jenseits des Tals war, wo sie Zuflucht in den Höhlen gefunden hatten. In diesem speziellen Traum versuchte er, sie vor Khalid zu warnen, und sie versuchte ihm zu erklären, sie sei sich ziemlich sicher, dass Khalid tot war, aber er wollte ihr nicht glauben, wollte ihr Handgelenk nicht loslassen, zerrte immer weiter daran. Das Schnüffeln und Husten: ihr Weinen? Aber sie weinte nicht; die Geräusche kamen von woanders.
    Der alte Mann ließ nicht locker. Als kapierte sie es einfach nicht. Hätte keine Ahnung. Müsste aufwachen.
    Gezwungen aufzuwachen wurde sie dann aber von einem berstenden Geräusch und einem dumpfen Schlag nicht weit weg, der sich durch den Boden fortpflanzte und den sie in den Rippen spürte.
    Einige Augenblicke lächerlicher Verwirrung, während ihr Verstand, vergleichbar einem Passagier, der über der Lücke zwischen einem Landungssteg und einem ablegenden Boot grätscht, eine Brücke vom Traum zur Realität zu schlagen versuchte.
    Dann war sie hellwach; der Eritreer war

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