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zutage gefördert, irgendeinen Hoffnungsschnipsel gefunden hatte. Sie konnte nur leere Phrasen murmeln: man bohre tiefer, erweitere den Rahmen, kümmere sich jetzt auch um die Ecken des Suchbereichs. Wenn diese Phrasen für Richard so hohl klangen wie für sie selbst, war es ein Wunder, dass er sich nicht einfach die Schusswaffe seines Bruders borgte und sich von seinem Elend erlöste.
Richard informierte sie darüber, dass er, John und Jake den ganzen Tag in hilflosem, niedergedrücktem Zustand in seiner Wohnung herumgesessen und »einander wahnsinnig gemacht« hätten und dass sie sich, anstatt auf diese Weise noch mehr Zeit zu verschwenden, darauf geeinigt hätten, gleich am nächsten Morgen die Stadt zu verlassen und direkt nach Elphinstone zu fliegen, damit sie einander in der gefälligeren Umgebung von Schloss Hundschüttler wahnsinnig machen konnten. Olivia, die den Drink in der Rockerkneipe sehr genossen hatte, drückte ihr aufrichtiges Bedauern darüber aus, dass sie keine Gelegenheit mehr haben werde, ihn zu sehen. Aber inzwischen kamen von all den Ressourcen und ausgebufften Leuten in Washington Daten in Hülle und Fülle herein, und da sie den vergangenen Tag großenteils damit verbracht hatte, sich, wenn auch höflich, über mangelnde Fortschritte zu beklagen, konnte sie jetzt schlecht das Büro verlassen, um mit dem fraglos irrelevanten Mr. Forthrast ein Bier trinken zu gehen.
Und danach verflogen weitere vierundzwanzig Stunden, als wäre es nichts. Es lag wohl daran, dass sie jetzt arbeitete, oder – wie einer der Gäste jener Bar – eine ironische Darbietung von Arbeit gab, und wenn man arbeitete, verging die Zeit schnell.
Höhere Tiere beim MI 6 forderten sie auf, tägliche Zwischenberichte über die Fortschritte beim NAG zu liefern, und bevor sie zu Bett ging, schrieb sie einen, der ihr ziemliche Bauchschmerzen machte. Den ganzen Tag hatte sie ihrer Vorstellung nach gemäß irgendeiner künstlichen Metrik dessen, was dieser Begriff bedeutete, »Fortschritte gemacht«: E-Mails gelesen und geschrieben, Datenbanken durchforstet, Checklisten abgearbeitet, über Bildern gebrütet. Aber da nichts davon tatsächlich zur Identifizierung des fraglichen Businessjets oder irgendwelchen Hinweisen darauf, dass er in die Vereinigten Staaten geflogen war, geführt hatte, handelte es sich nur um Fortschritte im negativen Sinn. Noch ein Tag solcher Fortschritte, und das NAG wäre tot und begraben, und sie befände sich auf dem Rückflug nach London.
Und so lag sie in ihrem Hotelzimmer wach im Bett, und ihre Gedanken streiften nach Norden über die kanadische Grenze, die ganze hundertsechzig Kilometer von hier entfernt war.
Nicht, dass sie nicht darüber gesprochen hätten. Kanada war natürlich verdammt riesig. Das war allgemein bekannt, drang einem aber erst so richtig ins Bewusstsein, wenn man eine Zeitlang die Karten betrachtete. British Columbia allein war ein Achtel so groß wie die gesamten Kernstaaten der USA . Aber sie hatten kein schlüssiges Szenario entwerfen können, das erklärte, warum sich Jones, im Besitz seines eigenen, privaten Businessjets, hätte dafür entscheiden sollen, dort zu landen. Nichts gegen Kanada, natürlich, ein nach allgemeinem Dafürhalten absolut wunderbares Land, aber es gab dort schlichtweg nichts in punkto hinlänglich verlockendem Ziel, das die Reise für einen Mann wie Jones gelohnt hätte. Hätte Kanada Waffen an Israel verkauft oder Pakistan mit Drohnen-Angriffen heimgesucht, würde Jones mit größtem Vergnügen den CN Tower hochjagen oder einen Autobombenanschlag auf ein Eishockeyspiel verüben, aber wie die Dinge lagen, musste er in die Vereinigten Staaten, wenn er sich nicht zum Gespött machen wollte.
Einen offiziellen Grenzübergang zu benutzen käme natürlich nicht in Betracht. Er würde sich irgendwo hinüberschleichen müssen. Wenn er also mit einem Businessjet in Richtung Süden gebraust und dabei unter dem Radar hindurch oder im Schatten eines Passagierflugzeugs geflogen wäre, wäre es unsinnig gewesen, plötzlich abzubremsen und nördlich der Grenze zu landen.
Aber, aber, aber. Pläne wurden nicht immer perfekt umgesetzt. Es war ein Fehler, sich Jones gewohnheitsmäßig als Superman vorzustellen. Vielleicht war ihm der Treibstoff ausgegangen. Vielleicht war unterwegs etwas schiefgelaufen und hatte sie gezwungen, die Reise abzukürzen. Beide Hypothesen waren vernünftig. Beide jedoch beförderten das NAG ins Reich der freien Spekulation. Jeder kluge
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