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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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war zu unruhig. Der kleine Lümmel richtete sich auf und fing an zu nerven. Ich beachtete den dummen Kerl gar nicht, schlug die Beine übereinander, drückte ihn runter und dachte an die abtörnendsten Sachen, die mir einfielen – kalter, klebriger Griesbrei, Gleichungen zweiten Grades, Filzpantoffeln, weiche Handtücher und Aktien. Aber mein Kumpel da unten ließ nicht locker.
    Na gut.
    Na gut, ich mache es.
    Mein Blick fiel auf die Obstschale, die Mama auf die Anrichte gestellt hatte, unter anderem lag darauf eine braungefleckte Banane. Mit dem Messer schnitt ich die Spitze ab. Dann drückte ich vorsichtig, bis das Fruchtfleisch da drinnen ganz matschig wurde und wie aus einer Kaviartube rausgepresst werden konnte. Zurück blieb nur die feuchte, schlabbrige Schale. Ich holte den Kleinen heraus und schob ihn in das schlüpfrige Loch, es passte perfekt. Ein Gefühl der Umarmung, so wunderbar gefühlvoll und weich, sanft wie die Tore des Paradieses, glatte Häute, die umschlossen, ein Pelzhandschuh, ein Gefühl der Wärme, es fühlte sich vollkommen echt an, wie schwerer warmer Honig, Pfirsichhaut, ein Lecken von allen Seiten, in immer wilderen Kaskaden, es kamen Adler, Antilopen, jemand erklomm die Spitze des Mount Everest, stapfte umher auf der Rückseite des Mondes, Riesenfichten bogen sich im Sturm, Mikrophone wurden elektrisch, Tausende von Kröten sprangen auf Trommelfellen herum, Eierschalen stülpten das Innere nach außen, Ozeane hoben sich vier Meter und stürzten erneut hinab in ihre Tiefseegräben, bis die Erdachse sich verschob, bis der Regen nach oben fiel, bis die Luft trüb wie Milch wurde.
    Hinterher konnte ich mich kaum noch rühren. Es war der beste Sex, den ich jemals mit mir selbst erlebt hatte.
     

CORPITTEL 10
     
    Nächster Tag. Schwarzes Brett. Leute kamen und gingen. Ich wartete. Unter der Jacke die Worte. Sie zappelten wie Fuchswelpen. Zerkratzten mir die Brust. Wollten atmen. Leute kamen und gingen. Schweiß auf der Stirn. Ich tat, als schriebe ich eine SMS. Leute kamen und gingen. Das Gedicht brannte auf meiner Haut. Ich bekam Strahlenschäden. Ich wurde durchsichtig. Verwundet.
    Die Leute verschwanden. Der Flur war leer. Mit faltigen Fleischhänden boxte ich das Gedicht ans Schwarze Brett. Bombardier den Dreck! Bombardier den Dreck! Schnell ging ich mit übergeworfener Kapuze davon, blutgetränkt. Frei.
     
    Nach der Schule klingelte das Telefon. Es war Pålle.
    »Wo zum Teufel treibst du dich rum?«, wollte ich wissen.
    »Im Wald.«
    »Ich bin von zwei Kerlen verprügelt worden. Aber die waren eigentlich hinter dir her.«
    »Kein Problem. Kommst du?«
    »Wieso?«
    »Es ist Zeit, etwas auszuprobieren. Du weißt, was ich meine.«
    »Hast du etwa … Mmh …«
    Ich suchte im Schrank und nahm eine Dose braune Bohnen mit. Dann fuhr ich die Radwege entlang.
    Pålle erwartete mich am Waldweg. Seine Freizeitkluft war zerknittert, die Haare standen ihm zu Berge, seine Augen waren rot vom Rauch.
    »Hast du hier draußen geschlafen?«
    Er zuckte nur kurz die Achseln, drehte sich dann um und fuhr vor. Ich folgte ihm in den kühlen, duftenden Herbstwald.
    Dieses Mal radelte Pålle am Bunker vorbei. Der Waldweg machte eine Biegung und endete in einer kleinen Kiesgrube. Ein Trecker hatte eine Wunde in die Landschaft geschlagen, und zwar vor vielen Jahren, denn das Gestrüpp war inzwischen wieder bis auf Brusthöhe gewachsen.
    »Ich hab ihn von Vater«, sagte er plötzlich.
    »Okay.«
    »Wenn Vater verreist ist, dann leihe ich ihn mir immer mal aus. Ich weiß, wo er den Schlüssel versteckt.«
    »Ach so.«
    »Wenn er das rauskriegt, sind wir des Todes. Vergiss das nicht.«
    Ich schielte zu Pålle hinüber, sein Grinsen beunruhigte mich. Aber es war zu spät für einen Rückzieher.
    »Des Todes«, wiederholte ich.
    »Genau.«
    Mit feierlicher Miene nahm er den Rucksack ab und legte ihn zwischen uns auf die Erde. Dann öffnete er den Reißverschluss. Drinnen lag etwas Glänzendes, war das Silber? Ein funkelnder … Kerzenhalter? Er zog die Rucksacköffnung auf, und jetzt sah ich es. Ein Schauer durchfuhr mich. Ein eisiger Zeigefinger fuhr das Rückgrat hinauf, bis zu den Haarwurzeln.
    »Wahnsinn«, flüsterte ich.
    »Nimm ihn. Nimm ihn einfach.«
    Mit trockenem Mund streckte ich die Hand aus. Griff vorsichtig zu, hob das Teil ans Licht.
    »Wie schwer …«
    »Super, nicht wahr? Fühl mal.«
    Zuerst zögerte ich. Die Angst wuchs, eine rote Warnlampe blinkte auf. Es prickelte in mir. Ich würde die Grenze

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