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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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vorm Einschlafen. Ich kämpfte mich weiter, wollte dem Typen eine ehrliche Chance geben. Der Sohn einer Magd. Zehn Seiten ein einziger Brei. Gestelztes Geschwafel. Ich durchschaute ihn absolut, ein Bleichgesicht mit Munddiarrhöe, der mit Worten wie mit Klopapier um sich schmiss. Ein leicht durchschaubarer Bluff. Er wollte gar nichts mit seinem Buch, es gab kein Licht, keine Energie. Er wollte nur berühmt werden, die Leute sollten ihn anschauen und sagen: »Da geht der Dichter.« Er schrieb mehr als fünfzig Bücher und Stücke, das allein ist ja schon verdächtig. Kein anderer Mensch brauchte so viel Platz, um das auszudrücken, was ihn beschäftigte. Das war pathetisch. Ich blätterte auf die letzte Seite, um zu sehen, ob noch etwas passierte. Aber dem war nicht so. August Strindberg war eine Null, passend für Schwedischlehrer und Bibliothekare.
    Ich spürte die Wut in mir aufsteigen. Stürzte ins Badezimmer und schaute in den Spiegel. Der Kopf tat mir weh, vorsichtig zog ich das Pflaster von der Augenbraue. Der Riss war dunkel wie schwarze Johannisbeeren und feucht von Eiter. Vielleicht war doch die Kugel dran schuld. Ein Kugelfragment, das zurückgeprallt war. Auf jeden Fall hatte ich eine Schusswunde. Man konnte geradezu sagen, dass ich angeschossen worden war, aber überlebt hatte. Aus dem Weg, Augüstchen, du bist schon lange tot. Ein steifer, verrotteter Kerl. Während ich hier stehe und blute.
    Ich beschloss, den Wundschorf trocknen zu lassen und ihn nach ein paar Tagen abzukratzen. Wenn ich Glück hatte, wurde das eine saftige Wunde. Keine lächerliche Tätowierung mit Tribalen, Drachen oder japanischen Schriftzeichen, sondern echte Ware.
    Selbst die Kopfschmerzen fühlten sich auf irgendeine Art und Weise frisch an. Echt. Erregend. Ich würde keine Schmerzmittel nehmen; wenn ich einen Revolverschuss überlebt hatte, dann würde mich dieser kleine Schmerz auch nicht umbringen.
    Die Wohnungstür klackte, ich hörte, wie Mama ihre Schuhe abschüttelte. Schnell wickelte ich mir ein Handtuch um den Kopf und schnappte mir meine Zahnbürste.
    »Hast du geduscht?«
    Ich nickte, während ich mir so konzentriert die Zähne putzte, wie ich nur konnte. Überrascht hob Mama die kleinen Schutzpapiere vom Pflaster hoch, die neben dem Waschbecken lagen.
    »Du hast dich verletzt.«
    »Mbll … Kratschwunde«, murmelte ich mit Schaum im Mund.
    Mit einem Griff zog sie das Handtuch weg. Die Krankenschwester. Sie konnte Blut wie ein Spürhund riechen.
    »Das sieht ziemlich tief aus.«
    Ich spuckte aus und spülte mir den Mund, um Zeit zu schinden.
    »Also, ich … ich habe mich an einem Zweig geratscht.«
    »Ein Zweig.«
    »Im Wald. So ein dicker Zweig, man kann fast sagen, ein Ast.«
    »Das muss genäht werden. Ich nehme dich mit in die Notaufnahme.«
    »Nein, Mama …«
    »Du hörst, was ich sage. Das sieht ziemlich tief aus.«
    Ich begegnete ihrem Blick. Ich war größer als sie, und ich dachte an Strindberg. Der Sohn einer Krankenschwester.
    »Du hast gehört, was ich gesagt habe«, platzte ich raus, »es ist nur ein kleiner Riss. Und jetzt gehe ich ins Bett.«
    Und ich weiß nicht wie, aber sie schluckte es. Ich regelte mein Leben selbst. Ihre Notfallstationsaugen wurden weich, und sie suchte in ihrem Medizinkasten.
    Als ich mich hingelegt hatte, kam sie mit einer Brausetablette und einem Glas Wasser. Sie säuberte die Wunde und fummelte ein wenig daran herum.
    »Chirurgenpflaster«, sagte sie. »Hatte ich noch zu Hause.«
    Ich betrachtete ihre Hände, sie arbeiteten schnell und routiniert. Sie hatte sogar Einmalhandschuhe übergezogen.
    »Ist heute Abend jemand gestorben?«, fragte ich nach einer Weile.
    »Ja, ist es tatsächlich.«
    »Ein Alter?«
    »Du weißt, dass ich Schweigepflicht habe. Ich darf nicht sagen, wer.«
    »Warst du dabei?«
    »Ja, ich war dabei.«
    »Auch, als er gestorben ist?«
    »Ich habe nicht gesagt, dass er männlich war.«
    »Wie läuft das ab … Kriegt man Krämpfe und so?«
    »Das kommt vor. Aber heute Abend war es ganz ruhig.«
    »Ist er im Schlaf gestorben?«
    »Nein, nicht direkt. Aber meistens stehen sie unter Medikamenten, die alles dämpfen.«
    »Aber ist es trotzdem zu merken? Ich meine, in dem Augenblick, wenn es passiert?«
    »Ja, das ist es. Es ist zu merken, es ist ziemlich heftig …« Mama setzte sich auf mein Bett. Sie hatte einen dunklen Punkt auf dem Kinn. Es sah aus wie ein Blutspritzer.
    »Du würdest dich als Arzt eignen«, fuhr sie fort.
    »Ach.«
    »Du solltest mal einen

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