Erschiess die Apfelsine
ausgeblasene Hüllen, Eierschalenreste, die an den Schwingtüren vom Wind zusammengetrieben werden. Und dann wird alles still. Der Nebel lichtet sich, während Glas klirrt, eine letzte Scherbe von den zerplatzten Fensterscheiben, der Rauch verzieht sich, und wir bleiben zurück, ihr Blick, der an mir klebt, wie eine Liebkosung an meinem Gesicht.
Doch dann fiel mir mein Ääh ein. Die Erinnerung traf mich wie ein Fausthieb und pisste die Filmleinwand gelb. Scheiße, wie konnte ich mich nur so blamieren?
Ich musste sie anrufen. Ich war einfach gezwungen dazu. Aber ich wusste ja nicht einmal, wie sie hieß. Der diesjährige Schulkatalog war noch nicht gedruckt, das würde noch ein paar Wochen dauern. Und die Klassenlisten? Ich holte sie heraus und blätterte mich durch die Kunstklassen. Jahreskurs eins, sie war ja wohl im ersten Jahrgang? Insgesamt zweiundzwanzig Schüler, mehr als die Hälfte Mädchennamen: Angelica, Dorothy, Filippa, Gina, Ida, Louise, Mette, Pirkko, Sanna, Unica, Zubeide – mein Blick flog über die Spalte. Hinter den Namen standen Adresse und Telefonnummer. Eine davon musste es sein.
Nervös nahm ich den Hörer. Es musste Gina sein, der Name passte zu ihr.
Eine raue Männerstimme antwortete. Scheiße. Ich versuchte mit Stockholmer Dialekt zu reden.
»Ha … hallo, ich suche ein Mädchen namens Gina Lundén.«
»Und mit wem spreche ich?«
»Ääh … Lars-Göran Attefall«, fiel mir gerade noch ein.
»Ja und?«
»Ja, wie gesagt, ich suche Gina. Es geht um Fotoaufnahmen.«
»Erzähl mir noch mehr vom Pferd.«
»Nein, Moment mal …«
»Ich bin ihr Freund, und du kannst dich verpissen!«
Klick. Wie schön. Ich musste es noch einmal versuchen. Mal sehen, Angelica …
»Angelica hier«, meldete sich eine helle Mädchenstimme.
Viel zu hell für sie, oder lag es an der Telefonleitung, dass …
»Hmm, hallo, ich heiße Lars-Göran Attefall und bin Film … ja, einer, der Filme macht.«
»Regisseur?«
»Ja, genau, Filmregisseur. Und ich suche ein nicht zu großes Mädchen mit schwarz gefärbten Haaren und grünen Augen.«
»Muss sie so aussehen?«
»Ja, hm … die passt am besten zur Rolle, das verstehst du doch.«
»Aber es gibt doch Schminke und Perücken. Und gefärbte Kontaktlinsen.«
»Ja, natürlich, aber … geht so ein Mädchen in deine Klasse? Die so aussieht?«
»Bist du ein Spanner?«
»Was?«
»Na, so einer, der Mädchen anruft und ausfragt, bist du so einer?«
»Nein, ich will nur …«
Klick.
Verdammt.
Und wenn sie jetzt bloggte? Oder bei Facebook war? Ich warf Mamas brummenden Computer aus dem Steinzeitalter an und ging ins Netz. Ich googelte einen Mädchennamen nach dem anderen, blätterte zwischen Blogs, Homepages und Chatrooms hin und her. Bald hatte ich den ersten Treffer, eine pistaziengrüne Homepage mit einem Foto, auf dem ich sehen konnte, dass Dorothy Argin von der Liste zu streichen war. Nach viel Mühe konnte ich noch weitere vier Namen streichen, keines war das Mädchen, das ich suchte. Aber es blieben immer noch viel zu viele übrig. Und im Netz konnte ich sie nicht finden.
Ich musste einen Brief schreiben. So einen alten Steinzeitbrief auf ganz normalem Papier. Und ihn überreichen, wenn ich sie in der Schule traf:
Hallo, fremde Freundin. Hoffe, du bist nicht sauer auf mich. Ich dachte, wir könnten uns vielleicht einmal treffen. Auf einen Kaffee? Ruf mich an …
Nein, sie würde sich kringelig lachen. Ich musste ihr imponieren, großartig und mystisch erscheinen:
Das Sternzeichen war explodiert. Die Äxte wurden von den Orks geschwungen, schwere Hufe ließen die Erde vibrieren. Der Widerstand ist unterirdisch, du erreichst mich unter der Telefonnummer …
Oder war das zu krank? Vielleicht hasste sie ja Herr der Ringe. Vielleicht war sie eher an Tieren interessiert?
Barfuß durch das Herbstlaub wandern, ein riesiger, grüner Salatteller, die Kühe sind frei, die Schweine laufen aus dem Schlachthaus und suchen nach einem Schulhof, um ihn aufzuwühlen. Ich habe eine Tomate gefunden, vielleicht gehört sie dir, rufe mich an unter …
Ja, so konnte es funktionieren:
Tomate gefunden, hört auf den Namen Hilding. Farbe rot in Richtung Ketchup. Hat Tomatennase, Tomatenhirn und ein rotes, schmachtendes Tomatenherz, zu finden, wenn du anrufst unter …
Ich versuchte es noch einmal bei Pålle. Keine Antwort.
Spürte, wie etwas näherkam. Etwas Ekliges war auf dem Weg.
Dann versuchte ich zu lernen, aber mein Körper
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