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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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    »Hast du Prügel bezogen?«
    Mama steht in der Badezimmertür und betrachtet mich, wie ich da in der Unterhose stehe.
    »Ich … hm … ich bin nur hingefallen …«
    »Gib dir keine Mühe, du bist getreten worden, so was habe ich schon in der Notaufnahme gesehen, da sind noch die Spuren von der Schuhsohle.«
    »Das ist vom Treppengeländer, Mama, ich bin auf der Treppe gestolpert.«
    »Und woher kommen dann die Kieselsteine«, fährt sie fort und mustert meine Handflächen. »Warte, ich hole was.«
    Mama verändert sich, wird plötzlich vollkommen ruhig. Keine Vorwürfe, kein Verhöre, wie ich es erwartet hatte, nur eine entschlossene Krankenschwester, die desinfiziert und Pflaster abschneidet.
    »Ich denke, das sollten wir bei der Polizei melden«, sagt sie.
    »Mama, da war nichts, ich bin nur …«
    »Du kannst später erzählen, wenn du willst«, schneidet sie mir das Wort ab. »Aber nur, wenn du nicht lügst.«
    Aus einem Schrank holt sie Eisspray und sprüht den blauen Fleck ein. Der Schmerz lässt nach, das Pochen ist fast verschwunden.
    »Vielleicht sollte man das verbinden«, sagt sie. »Ist dir schwindlig?«
    Ich schüttle den Kopf. Möchte plötzlich am liebsten losheulen.
    Schlucke es hinunter, der Held schreitet davon, weit ausholende Schritte auf dem Geröll. Ich muss die Fassung bewahren, wechsle das Thema.
    »Was war das Schlimmste, was du im Krankenhaus gesehen hast, Mama?«
    »Das willst du gar nicht wissen.«
    »Aber du hast schon mal Stichwunden gesehen?«
    »Stichwunden sind nicht so schlimm, das ist nur ein gerader Schnitt. Auch wenn sie tief sind, haben sie meist schon aufgehört zu bluten, wenn sie bei uns ankommen, das liegt am Schock, dadurch ziehen sich die Adern zusammen.«
    »Und hast du schon mal einen gesehen, auf den geschossen wurde?«
    »Oh ja.«
    »Und wie sieht das aus?«
    »Das ist nur ein kleines Loch. Bei kleinkalibrigen Waffen steckt die Kugel oft noch in irgendeinem Knochen, und außerdem ist es schwarz um die Einschussstelle.«
    »Von getrocknetem Blut?«
    »Nein, das kommt vom Pulver, wenn der Schuss aus nächster Nähe abgefeuert wurde.«
    »Und von einem Schrotgewehr?«
    »Ja, das gab es auch schon.«
    »Und das ist eklig?«
    »Meistens sind es Jäger, die es schaffen, sich gegenseitig anzuschießen. Das ist dann wie Streusel über Rücken und Po, man muss sie mit einer Pinzette herausholen.«
    »Aber dann war es aus großer Entfernung, oder?«
    »Wie meinst du das?«
    »Nun, wenn der Lauf abgesägt ist und es gibt einen Kampf …«
    »Du sollst dir solche Filme nicht angucken.«
    »Aber hast du so was schon mal gesehen, Mama?«
    »Wenn so etwas in unserer friedlichen Stadt passieren würde, dann würde man sie wohl kaum bei uns in die Notaufnahme bringen. Dann sollte man sie lieber in einen großen Sack stecken.«
    »Dann hast du es also schon mal gesehen?«
    »Hör jetzt auf.«
    Sie zögerte. Schloss kurz die Augen, ihre Stimme wurde härter.
    »Das Schlimmste, was ich gesehen habe, das waren die Kinder. Bei Kindern ist es immer am schlimmsten. Nicht Messer oder Schrotflinte, sondern ganz normale kleine Kinder. Ein Mädchen, das ohne Helm von der Schule nach Hause geradelt ist, sie hatte ihn wohl vergessen, vielleicht hatte sie es eilig. Sie fuhr einen Abhang hinunter, auf dem Schotter lag, da kam ein Toyota aus der anderen Richtung, der nicht ausweichen konnte. Der Kopf … ihr ganzer …«
    »Ist sie gestorben?«
    »Du … ich …«
    »Aber du kannst es mir doch erzählen, wenn sie es geschafft hat?«
    »Wenn dich das alles so interessiert, dann solltest du Arzt werden. Das ist der schönste Beruf auf der Welt. Jeden Tag etwas Gutes tun, gegen das Leid kämpfen. Übrigens, bist du dir sicher, dass du nichts am Kopf abgekriegt hast, lass mich mal deine Pupillen sehen.«
    »Die hast du doch schon angeguckt.«
    »Und wenn dich jemand zusammengeschlagen hat, dann musst du ihn anzeigen.«
    »Mhm …«
    In dem Moment klingelte das Telefon. Mama sprang auf, eilte hin, und gleich klang ihre Stimme ganz sanft und zärtlich. Sie nahm den Apparat mit ins Schlafzimmer und zog die Tür zu. Ihr neuer Typ. Der mit den Riesenschuhen.
    Ich setzte mich an den Küchentisch und dachte eine Weile an eine abgesägte Schrotflinte. Der Kerl mit der Schweinefresse, der angerannt kam, eine Salve direkt in den Bauch, ein Treffer, der alle Weichteile vom Körper riss, so dass nur noch das Rückgrat übrigblieb. Und Ludvig mit gegelter Mähne, jetzt kam der Kickboxtritt, den er schon so

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