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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Handschrift:
     
    Bombardier die Schule
    wirf Bomben in die Schule
    wirf Bomben ins Klassenzimmer
    zünde den ganzen Mist an
    dass alles brennt
     
    Ich brauchte ein paar Sekunden, dann begriff ich. Jemand hatte versucht, mein Gedicht aus dem Gedächtnis aufzuschreiben. Nicht sehr genau, doch das Gefühl war da. Die Glut. Mir war klar: das musste sie gewesen sein. Das war La gewesen. Ihr hatte mein Gedicht so sehr gefallen, dass sie versucht hatte, es nachzudichten. Ich konnte sie vor mir sehen, über ihren Collegeblock gebeugt, die Freunde um sie herum, ihre schwarz lackierten Nägel am Stift.
    Ich nahm ihr Papier ab und heftete mein eigenes Gedicht ans Brett. Faltete ihren Zettel und schob ihn mir in die Hosentasche. Dabei fiel mir ein, dass er jetzt fast direkt an meinem Oberschenkel lag. Ihre Finger, die mit leichten, schnellen Bewegungen schrieben. Auf meine Haut schrieben.
     
    In der Mittagspause setzte ich mich in die Schulbibliothek und nahm mir das Lyrikregal vor. Bis dahin hatte ich mich noch nie für Gedichtsammlungen interessiert, dünne Bücher mit merkwürdigen Titeln und hässlichen Umschlägen. Wenn ich die Bücher öffnete, knackten sie oft, als wären sie ganz neu, als wäre ich der Erste, der in ihnen blätterte. Es gab nicht viele an der Schule, die Gedichte lasen. Worte, die niemand brauchte, tote Gedichte toter Dichter.
    Ich nahm wahllos ein Buch heraus und fing an zu lesen. Wasserspiegel. Shit. Griechische Urnen. Shit. Lausche dem Gras. Shit. Tanz der Zeit. Shit.
    Doch dann entdeckte ich einen Vers, an dem meine Augen hängen blieben.
     
    Die alte gewöhnliche Kahlheit
    Die alte gewöhnliche Kahlheit
    Die alte gewöhnliche Kahlheit
     
    Drei Mal dieselbe Zeile. Über einen kahlen Kopf? Haha, wie krank, und dann die Fortsetzung:
     
    Die alte peinliche Gewöhnlichkeit
    Die alte gewöhnliche Peinlichkeit
    Die alte peinliche Freundlichkeit
     
    Verdammt, was war das? Ich bepisste mich fast vor Lachen. Das ging im selben Stil so weiter, eine ganze Seite nur mit diesem Gestammel, haha, total heftig, hahaha, die Leute in der Bibliothek fingen schon an, mir verwunderte Blicke zuzuwerfen.
    Der Typ hieß Gunnar Ekelöf. Soweit ich sehen konnte, hatte er keine Glatze, er hatte auf dem Foto dünnes graues Haar und sah mürrisch aus. Eifrig blätterte ich weiter, stellte aber enttäuscht fest, dass seine anderen Gedichte holzig waren. Aber einmal war es ihm gelungen. Ein einziges Mal war er auf mein Niveau gelangt. Ich nahm meinen Stift und schrieb das Gedicht von Anfang bis zum Ende ab. Perpetuum mobile hieß es. Die Ewigkeitsmaschine.
    Ich holte mir ein anderes Buch und las:
     
    Diese fetten Lakaien auf den speckigen Sofas
     
    Peng! Die Zeile handelte ja von den Arschgeigen. Das Gedicht war lang, ich blätterte schnell weiter:
     
    Wie eine drohend grummelnde Wolke wandre ich
    durch die Welt – ein schöner Jüngling
    von zweiundzwanzig Jahren
     
    Ein Poet mit Biss! Einer, für den Leben Streit bedeutet, ein Rebell, einer, der zuschlägt. Das Gedicht war zu lang, um es abzuschreiben, ich musste das Buch ausleihen. In dem Moment merkte ich, dass jemand neben mir stand.
    »An den Laternenpfählen hänge man sie noch höher, unsere hohen Herren und Oberpriester.«
    Es war Greger. Heute in mittelblauem Hemd mit dunkelblauem Schlips.
    »Was?«
    »Wladimir Majakowski. Eine Wolke in Hosen. Vor meinem zweiundzwanzigsten Geburtstag habe ich das ganze Gedicht von Anfang bis Ende auswendig gelernt, das meiste sitzt immer noch. Ein Jammer, dass er sich erschossen hat.«
    »Hat er das?«
    »Übrigens, hast du Knut Hamsuns Hunger gelesen?«, fragte Greger und zog einen Roman heraus. Garantiert auf einer Ebene mit Strindberg.
    »Strindberg ist eine Null.«
    »›Mein Feuer ist das Größte in Schweden.‹ Das hat er über sich selbst gesagt, der gute August. Aber Hamsun, den darfst du nicht verpassen. Lies nur mal den ersten Satz.«
    Ich nahm die Bücher und ging. Wollte nicht weiter diskutieren. Ich hatte das Gefühl, er wollte ein Freund von mir werden. Aber etwas verwirrt war ich schon, Greger hatte Majakowski gemocht. Das hätte ich nie gedacht.
    Und Strindberg ein angeberischer Idiot. Das hätte man sich schon denken können. Nun ja, heutzutage wäre dann sein Feuer das zweitgrößte in Schweden. Nach meinem.
     
    Wie zufällig schlenderte ich wieder den Kunstflur entlang. Vor dem Schwarzen Brett standen ein paar Schüler, heftig diskutierend. Ich schaute durch die Gruppe hindurch und stellte fest, dass mein

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