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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Gedicht wieder verschwunden war. Stattdessen war eine bedruckte Seite mit dem Logo der Schule obendrauf festgepinnt:
     
    Das Schwarze Brett darf nicht für die Aufforderung zu kriminellen Handlungen benutzt werden. Alle derartigen Zettel werden umgehend entfernt. Die Schulleitung
     
    Die Rektorin war wieder hier gewesen.
     
    Ich suchte noch einmal den Schulcomputer auf. Dieses Mal machte ich zehn Ausdrucke. Ein Gedicht heftete ich direkt über das Papier der Schulleitung, die anderen klebte ich hier und da an, über die Schule verteilt.
     
    Das Herz wird gefüllt mit Benzin und geworfen
    dass der Unterricht brennt
     
    Niemand bemerkte etwas. Grinsend ging ich ins Chemielabor, wo wir verdünnte Salpetersäure neutralisieren sollten, indem wir Ammoniaklösung drauf träufelten. Weißer Laborkittel obligatorisch.
     
    Bevor ich in den Bus stieg, machte ich eine letzte Runde durch die Schule, um meine Gedichte zu überprüfen. Alle waren weg. Sie hatten jedes Einzelne abgerissen. Der Alarm musste ausgelöst worden sein, der Hausmeister war durch die Schule marschiert und hatte sie gesäubert.
    Jetzt bekam ich richtig schlechte Laune. Das Einzige, was mich ein wenig tröstete, war, dass jemand über den Warnbrief der Schulleitung »Zensurfaschistin« geschrieben hatte. Ich war mir nicht sicher, meinte jedoch die Handschrift wiederzuerkennen.
    La. Wo war sie jetzt? Wie konnte ich sie erreichen?
    Sobald ich zu Hause war, holte ich die Klassenlisten hervor und suchte die der Kunstklassen. Leif. Lena. Linda. Aber nichts mit La, hatte ich mich geirrt? Oder war sie im zweiten Jahrgang? Sie sah jünger aus, aber sicherheitshalber ging ich die Listen auch noch durch. Lorens. Lotta. Lucia. Louise.
    Und da. Ich war mir sicher, sobald ich den Namen sah. Ich spürte es in meinem Herzen.
    Lavendel Johansson.
    Skeppargränd 18.
    Ich griff zum Telefon. Tippte die Nummer ein. Aber auf halbem Weg zitterte meine Hand, so dass ich gezwungen war, aufzulegen.
    Was sollte ich ihr sagen?
    »Hallo, hier ist der Typ mit dem Putzkittel. Ich glaube, wir haben gemeinsame Interessen, ich habe gesehen, wie du in der Schule mein Gedicht gelesen hast …«
    Ich wiederholte die Sätze mehrere Male vor dem Spiegel im Badezimmer, versuchte, den richtigen Tonfall zu treffen. Es musste beim ersten Mal klappen, ich würde nur eine einzige Chance haben.
    »Welches Gedicht?«, würde sie fragen.
    »Das die Schulleiterin geklaut hat. Das war von mir. Ich habe es geschrieben.«
    »Aber du bist doch gar nicht im Kunstzweig?«
    »Nein, aber ich schreibe. Ich bin eine Wolke in Hosen.«
    »Tatsächlich?«
    »Die alte gewöhnliche Kahlheit. Die alte gewöhnliche Kahlheit. Wir sollten uns auf eine Tasse Kaffee treffen …«
    Okay. Ich war bereit. Die Repliken waren durchexerziert worden. Der Telefonhörer. Die Ziffern. Handschweiß, falsche Nummer getippt. Noch einmal.
    Freizeichen. Freizeichen. Wieder Freizeichen.
    »Johansson.«
    Eine tiefe Frauenstimme. Ihre Mutter?
    »Ja, äh … Ich suche nach La … Lavendel.«
    »Und wer bist du?«
    »Ich weiß nicht«, krächzte ich, »nein, ich meine …«
    »Latte hat dich aufgefordert, anzurufen, nicht wahr?«
    »Wer ist Latte?«
    »Er steht doch neben dir, ich kann ihn atmen hören.«
    »Ich möchte Lavendel sprechen …«
    »Schöne Grüße an Latte, und sag ihm, dass ich erst die Alimente haben will. Dann kann er wieder anrufen.«
    »Die Alimente?«
    »Er ist ja oft spät mit dem Geld, aber jetzt habe ich die Nase voll.«
    Dann schmiss die Frau mir den Hörer ans Ohr.
     
    Ich blieb vor dem Telefon sitzen, mein Kopf war vollkommen leer, oder er war vollkommen verwirrt, oder leerkommen voll und verkommen wirrt.
    In dem Moment bemerkte ich jemanden an der Wohnungstür. Die Klinke wurde entschlossen hinuntergedrückt. Aber ich hatte abgeschlossen. Ein langer, scharfer Klingelton durchschnitt die Stille.
    War das Mama? Sie musste ihren Schlüssel vergessen haben. Das kam manchmal vor, also öffnete ich, ohne vorher durch den Spion zu gucken.
    Sobald ich den Schlüssel umgedreht hatte, wurde die Tür mit fast übermenschlicher Kraft aufgedrückt. Eine flache Hand drückte mich nach hinten, während sich jemand hereinzwängte.
    Das Licht brannte nicht, im Dunkel konnte ich nur eine breite, schwarzgekleidete Gestalt erahnen.
    »Hol Pål her.«
    Die Stimme war aus Messing. Scharf und deutlich. Kein Schrei, nicht hysterisch, nur absolut entschlossen.
    »Ich weiß nicht, wer das sein soll …«
    Eine handschuhbekleidete Hand

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