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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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packte mich beim Oberarm. Der Griff fühlte sich wie eine Kette an, eine geschmiedete Fessel.
    »Ich wiederhole mich nur ungern.«
    »Meinen Sie Pålle? Ach so, nein, Pålle, der ist nicht hier …«
    »Du lügst.«
    »Ich weiß nicht, wo er ist, in der Schule war er auch nicht …«
    Der Kerl schob mich beiseite und trampelte in die Wohnung. Es handelte sich um einen breitschultrigen Mann, mit sonnengebräuntem Gesicht mit kleinen, scharfen Falten, er war glattrasiert, die Kinnpartie breit und fleischig, die Augen klein und eisblau. Er trug eine dunkle gestrickte Mütze, eine schwarze Jacke und geschnürte Stiefel, in denen eine dunkle Trainingshose steckte. Schnell durchsuchte er verbissen die Wohnung, Toilette, Flur, den Platz hinter dem Schlafsofa. Es dauerte höchstens eine halbe Minute, es sah so aus, als hätte er Übung darin.
    »Sie haben kein Recht …«, setzte ich an.
    »Pål!«, unterbrach er mich. »Du weißt, wo er steckt.«
    »Er wird wohl zu Hause sein, ich habe keine Ahnung.«
    »Du lügst. Ich kann den Menschen ansehen, wenn sie lügen. Und wenn ich sehe, dass sie lügen, dann kriege ich schlechte Laune. Kapiert?«
    Jetzt packte er mich beim Nacken und drückte zu. Ein jäher Schmerz durchschoss meine Halssehnen, ich versuchte mich zu befreien. Ruhig zog er mich näher an sich heran, streckte den Arm, und plötzlich spürte ich, wie meine Füße vom Boden abhoben. Der Nacken tat verdammt weh, aber es war unmöglich, frei zu kommen.
    »Nun?«, fragte er.
    Nicht einmal sein Atem wurde schneller von der Anstrengung.
    Der Bunker, dachte ich. Pålle ist im Bunker. Ich weiß, wo der ist, ich kann hinradeln und ihm den Weg zeigen, wenn er mir nur nichts tut.
    »Ich habe keine Ahnung«, quakte ich. »Ganz bestimmt nicht.«
    »Du hast ihn angerufen.«
    »Jaaa … Pålle wollte Vinylplatten von mir kaufen. Er redet oft von Vinylscheiben.«
    Das Muskelgesicht war direkt vor mir. Ich spürte seinen Atem, scharf und warm wie feuchtes Leder. Die Nasenflügel öffneten sich jedes Mal weit, wenn er atmete.
    Der Griff löste sich. Der Kerl ging zu unserem Telefon, drückte aufs Display und guckte sich die zuletzt getippten Nummern an.
    »Du hast Pål gestern angerufen?«
    »Ja, aber ich habe ihn nicht gesprochen. Es war keiner zu Hause.«
    »Was wolltest du von ihm?«
    »Na, wegen der Vinylplatten. Wir reden kaum über etwas anderes. Er hat ja Massen davon zu Hause.«
    »Über achthundert.«
    »Was?«
    »Die stehen im Regal. Mehr als achthundert Scheiben.«
    Ein Eisschauer durchfuhr mich. Das Monster musste bereits bei Pålle gewesen sein.
    »Aber … aber der Hund?«, fragte ich.
    »Was meinst du?«
    »Wie sind Sie an dem Hund vorbeigekommen?«
    Zum ersten Mal bewegte sich das Fleisch in dem Gesicht. Es spannte sich, zog sich ein wenig zur Seite. Erschaudernd wurde mir klar, dass das ein Lächeln darstellen sollte.
    »Wie ich an dem Hund vorbeigekommen bin? Ganz einfach. Ich bin Påls Vater.«
     

KARAFFEL 12
     
    Es war so ein Tag, den man gar nicht richtig mitbekommt. Ich saß zusammen mit Mama am Tisch, wir aßen Makkaroni mit Lachssoße. Meine Nackensehnen taten immer noch weh, es war ein Gefühl, als wäre ich auf einer Streckbank zwei Zentimeter länger geworden.
    »Ich geh noch mal raus«, sagte ich.
    »Aber wollen wir es uns nicht lieber gemütlich machen«, schlug sie vor. »Wie früher, richtig kuschelig.«
    »Ich muss noch was erledigen.«
    »Und was?«
    »Außerdem brauche ich einen Hunderter. Bitte, du kriegst ihn wieder, wenn ich mein Stipendium kriege.«
    »Dafür musst du den Boden wischen«, sagte sie.
    »Wieso?«
    »Du bist hier drinnen mit schmutzigen Stiefeln herumgelaufen, wie oft habe ich dir gesagt, du sollst sie ausziehen.«
    »Aber das war …«
    Fast hätte ich mich verplappert.
    »Okay«, murmelte ich. »Versprochen.«
    Sie gab mir den Schein, gleichzeitig fiel ihr offenbar noch etwas ein.
    »Ach, du … nächsten Samstag. Kommst du da allein zurecht?«
    »Über Nacht?«
    »Howard und ich, wir haben uns gedacht … Ja, seine Kinder sind an dem Wochenende bei seiner Ex, und da haben wir gedacht, dass ich vielleicht die Nacht über bei ihm bleiben könnte.«
    Dann hatte die Schuhgröße 48 also einen Namen bekommen. Howard.
     
    Schwarze Jeans. Keine Sportschuhe, die haben Reflektorstreifen, die könnten leuchten, stattdessen alte Gummistiefel. Ein dunkelblauer Anorak, aus dem ich herausgewachsen war, die Ärmel waren zu kurz, aber er hatte eine schöne dunkle Kapuze, in der man sich

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