Erschiess die Apfelsine
Tag mit mir kommen. Ich kann mit der Krankenhausleitung sprechen.
»Darf man das denn?«
»Du gehst doch auf den naturwissenschaftlichen Zweig. Das machen die meisten, die Arzt werden wollen. Ich kann sagen, dass du ein bisschen Praxis schnuppern willst.«
Leise zog sie die Wohnzimmertür zu, und ich hörte, wie sie sich ihren Abendkaffee machte. Ich blieb mit weit aufgerissenen Augen wach liegen. Es würde Stunden dauern, bis ich einschlafen konnte.
KAFITTEL 11
Ich weiß nicht, was zu sehen ich erwartet hatte, als ich auf den Kunstflur kam, aber nicht dieses Bild. Vor dem Schwarzen Brett stand die Schulleiterin. Sie beugte sich vor, schob ihre Brille zurecht, eine kleine, leicht übergewichtige Dame in weißer Bluse, langem, graugemustertem Rock und braunen flachen Schuhen. Neben ihr standen zwei Kunstlehrer, ein sonnengebräunter Theaterpädagoge und ein grauhaariger Herr mit Pferdeschwanz, ich glaube, er unterrichtete Tanz.
Sie standen stocksteif da und betrachteten konzentriert das Schwarze Brett. Ich traute meinen Augen nicht. Sie lasen mein Gedicht. Das Gerücht über diese umwerfenden Texte, die am Schwarzen Brett aufgetaucht waren, musste sich bereits bis ins Lehrerzimmer verbreitet haben. Ich versuchte etwas von ihren Gesichtern abzulesen, schlenderte vorsichtig näher. Ich mischte mich unter eine Gruppe neugieriger Schüler. Sie hatten bemerkt, dass da etwas im Gange war, eine willkommene Unterbrechung des Schultrotts.
Die Schulleiterin richtete sich wieder auf. Sie ließ ihre Lesebrille an einer Kette um den Hals baumeln. Dann streckte sie die Hand aus, ergriff das Papier und riss mit einem Ruck das Gedicht ab.
Ein Aufstöhnen ging durch die Schülergruppe.
Die Rektorin dampfte ab, mit den Lehrern im Schlepptau.
Was zum Teufel …
Vollkommen verblüfft drängte ich mich vor. Wo mein Gedicht gehangen hatte, war es leer. Rundherum hingen die Texte der Kunstschüler über ihr albernes Kunstschülerleben und ihre Kunstschülerprobleme. Nur mein Gedicht hatten sie weggenommen.
Die Gedanken surrten wie ein Bienenschwarm in meinem Kopf. Und dann entdeckte ich sie. Sie stand am Rand der Schülergruppe, ihre grünen Katzenaugen blitzten.
»Das ist Zensur! Wir Schüler haben das Recht auf Meinungsfreiheit wie alle anderen, die Schulleitung hat kein Recht …«
In dem Moment entdeckte sie mich. Ich trat einen verwirrten Schritt vor. Teflon. Was hast du für eine Nummer? Tel … Telefon … Telefonnummer,.. ? Nein, dieses Mal würde ich sie mit normaler Stimme grüßen, ruhig und freundlich, vielleicht noch mit einem kleinen Lächeln, nicht aufdringlich, dass es aussah, als würde ich auf sie zurennen, sondern einfach nur ein nettes, entspanntes kleines »Hallo«.
Sie wandte schnell den Blick ab. Tat so, als hätte sie mich nicht bemerkt.
Ich ging schweigend an ihr vorbei.
Im Arm hielt sie ihre Lehrbücher. Ganz oben drauf lag ein Collegeblock. Schwedisch stand handgeschrieben drauf. Und darunter La …, das Weitere verschwand unter einem schwarz lackierten Nagel. Der Anfang ihres Namens.
La?
Ich ging schneller, fast fing ich an zu laufen. Es brannte in meinen Augenwinkeln, ich begriff, dass sie nie wieder mit mir würde reden wollen. In der Tür am Ende des Flurs war eine Glasscheibe, am liebsten hätte ich sie eingetreten. Zerschmettert. Mir vorgestellt, das wäre die fette Visage der Schulleiterin, ihre Altweiberbrille. Sie hatte mein Gedicht geklaut, jetzt lag es auf ihrem kalten Schreibtisch. Mein klopfendes, rohes Herz.
Da gab es nur eins. In einem der Gruppenräume war ein Computer frei. Ich setzte mich davor und tippte schnell ein:
Bombardier den Dreck
Bombardier den ganzen Dreck
Wirf Granaten in die Flure
Bomben auf die Gehirne
wirf Feuer in die Säle, in die Klassenzellen …
Das ganze Gedicht auswendig. Die Schulleiterin hatte mir den Zettel stehlen können, aber nicht das Gehirn. Ich druckte den Text aus und löschte ihn anschließend vom Bildschirm. Hinterließ keine Spur.
Ich wartete, bis es zur Stunde klingelte. Die Flure leerten sich, und die Schüler verschwanden in den Klassenräumen der Kunstschüler. Ein letztes Mädchen mit blonden Dreadlocks eilte ins Tanzstudio. Rhythmische Musik war von drinnen zu hören, die Anweisungen eines Lehrers. Die Tür fiel wieder ins Schloss, und es wurde still. Schnell lief ich mit meinem Ausdruck zum Schwarzen Brett.
Aber der Platz war besetzt. Überrascht starrte ich darauf. Dort hing ein neuer Zettel mit hingekritzelter
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