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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Was hältst du davon?«
    Etwas zog sich in meinem Bauch zusammen. Zuerst Vater. Und jetzt auch Mama. Hieß das, dass man erwachsen wurde?
    »Und das Geld?«, murmelte ich.
    »Howard hat Geld«, sagte sie. »Er hat mir angeboten, dir bei der Miete zu helfen.«
    Sie hatten also zusammengesessen und über mich geredet. Wie werden wir den Jungen los, damit wir unsere Ruhe haben?
    »Warst du noch nie über beide Ohren verliebt?«, fragte sie dann flehend. »Man möchte am liebsten die ganze Zeit nur zusammen sein. Man denkt immer an den anderen.«
    Jetzt wand ich mich. Es wurde langsam richtig peinlich. Sie legte den Apfel wieder zurück und ging hinaus in die Küche. Ich hörte das vertraute Geräusch der Kaffeemaschine. Kurz darauf kam sie mit zwei Tassen und einer Packung Keksen zurück.
    »Nun, wie ist es mit dir, mein Kleiner?«
    Zurück auf Null. Gesichtsausdruck neutral.
    »Du wirkst manchmal so einsam«, fuhr sie fort. »Triffst du nie … nun ja, so ein Mädchen?«
    Vakuum. Bunker.
    »Ich dachte nur … vielleicht möchtest du ja drüber reden? Weißt du, da fällt mir ein, ich weiß auch nicht, wieso, bei der Arbeit, da haben wir beim Röntgen zwei Krankenpfleger, die wohnen sogar zusammen. Die gehen ganz offen damit um, und keiner findet daran etwas merkwürdig oder so. Warte, wo willst du hin, ich habe doch gerade Kaffee aufgesetzt …«
    Raus, bloß weg hier. An die frische Luft, Sauerstoff.
     
    »Bombendrohung gegen Schule« stand auf der Titelseite der Länstidningen. Und drinnen folgten die Überschriften: »Schüler wehren sich gegen Zensur«. Ein Foto von Leonardo, mit Locken wie ein Engel, und einem bescheuerten Blick, der wohl rebellisch sein sollte. Bildunterschrift: »Leonardo Bjälkes Gedicht erschien der Schulleitung zu provokativ.«
    Fast hätte ich das Frühstücksbrot wieder ausgespuckt. Dieses Schwein. Dieses aufgeblasene, verfluchte Arschloch. Er hatte mir mein Gedicht gestohlen. Diese Null wollte auf meine Kosten ein Held werden. Und was noch schlimmer war: Neben ihm stand Lavendel. Er hatte den Arm locker um ihren Rücken gelegt. Sie warf ihm bewundernde Blicke zu. Sie waren zusammen. Das war ganz offensichtlich. Sie war ihm auf der Stelle verfallen, als sie erfahren hatte, dass er das Gedicht geschrieben hatte. Dieses Miststück hatte mir mein Mädchen weggeschnappt. Oder die, die mein Mädchen hätte werden können. Oder zumindest eine gute Freundin. Eine, die man auf dem Flur grüßt.
    Allen, die den Artikel gelesen hatten, war klar, dass es die Künstler waren, die dahinter steckten. Die Kunstschüler hatten das Gedicht geschrieben und es in der ganzen Schule verbreitet, und sie waren auch schuld am Graffiti. Zwar leugneten sie es, aber man konnte ja zwischen den Zeilen lesen.
    Weiter unten wurde die Schulleiterin zitiert: »Wir haben in letzter Zeit beunruhigende Tendenzen beobachten müssen.« Und die Bombendrohung, die war das Tüpfelchen auf dem i. Das Stück war bereits fertig geschrieben, und die Kunstschüler hatten die Hauptrollen an sich gerissen. Während ich wie eine Null hier hockte. Ein Loser. Welches Mädchen wollte mich schon haben? Selbst meine Mutter fragte sich, ob ich nicht schwul war. Mein neues Leben wurde langsam meinem alten verdammt ähnlich, ich war zurück auf Start. Sartre hatte sich trotz allem geirrt. Man konnte sich nicht dafür entscheiden, jemand anderes zu sein, wie sehr man auch darum kämpfte.
    Im Bus spürte ich eine aufsteigende Unlust im Bauch. Wäre Leonardo hier gewesen, ich wäre zu ihm gegangen und hätte ihn angespuckt. Stattdessen zog ich das Buch von Knut Hamsun heraus. Der erste Satz, hatte Greger gesagt. Guck dir den ersten Satz an.
    »Es war in jener Zeit, als ich in Kristiania umherging und hungerte.«
    Die Hauptperson war jung und verzweifelt, genau wie ich. Hungern. Ja, warum nicht?
     
    Am Schuleingang hatte sich eine lange Schlange gebildet. Zwei uniformierte Sicherheitskräfte ließen die Schüler nur einzeln herein. Alle mussten ihre Taschen und Rucksäcke öffnen, um zu zeigen, dass keine Bomben darin versteckt waren. An der Ziegelfassade war nur noch eine hellere Farbnuance zu erkennen, die Worte waren ausradiert. Direkt am Eingang hing dafür eine Mitteilung der Schulleitung: »Versammlung in der Aula. Thema: Situation an der Schule.« Die sollte am Nachmittag stattfinden, sämtliche Schüler wurden aufgefordert, zu erscheinen.
    Ich wurde von dem nach Tabak stinkenden Cop reingelassen und wollte gerade die Treppe zum

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