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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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Leonardo stand mit bleichem Gesicht daneben.
    Da trat ich in den Film. Ich konnte gar nicht so schnell denken, meine Beine bewegten sich von ganz allein, ich machte ein paar schnelle Schritte, während die Welt den Atem anhielt.
    Mit einer ausholenden Bewegung verpasste ich der Schweinefresse eins. Er kam ins Wanken, hätte fast das Gleichgewicht verloren. Hinter ihm stand Ludvig und fing ihn auf.
    »Was zum Teufel …«
    Ich stand wie ein Schutzschild vor Lavendel. Die Fresse richtete sich auf, lang und bullig, mit vor Schweiß glänzender Stirn. Ich konnte den Rotz in seinen weit aufgeblähten Nasenflügeln sehen. Er hob die Fäuste, wollte mich am Kragen packen und zu Boden werfen.
    In dem Moment klickte eine Kamera. Der Reporter. Ein kleines elektronisches Klicken einer Digitalkamera mit einer schwarzglänzend glotzenden Kameralinse. Bereit, alles zu registrieren, was passierte.
    Die Schweinefresse hielt abrupt inne. Er beugte sich vor und flüsterte so, dass nur ich es hören konnte:
    »Das nächste Mal wirst du eine verdammt gute Lebensversicherung brauchen.«
    »Eine Lebensversicherung?«, wiederholte ich mit lauter Stimme. »Wozu brauche ich denn deiner Meinung nach eine Lebensversicherung?«
    »Du bist doch auch im Naturwissenschaftszweig!«, platzte Ludvig wütend heraus.
    »Ja! Genau!«, war aus den Reihen zu hören.
    »Verräter. Schwuler.«
    Es waren die Arschgeigen, die langsam warm liefen. Sie reckten ihre Hälse in ihren Markenpullovern und suchten nach weiteren schlimmen Worten. Ich machte mich aus dem Staub.
    »Haltet die Schnauze, ihr Feiglinge!«, rief jemand.
    Ich drehte mich um. Es war Lavendel. Sie war einen Schritt vorgetreten und schien stinkwütend zu sein. Und plötzlich sah sie mich an. Mit diesen funkelnden grünen Augen, die immer größer wurden, die sich mit etwas füllten, das …
    »Hure!«, schrie einer der weniger begabten Arschgeigen. »Hure, Hure, Kommunistenhure …«
    Der Journalist machte sich emsig Notizen.
    »Hört auf«, rief Leonardo. »Hört auf mit dem Geschrei.«
    Er trat vor und legte einen Arm um Lavendel. Wollte wohl nicht ganz außen vor bleiben. Ich zwängte mich durch die aufgebrachte Menge von Arschgeigen, sie machten mir widerstrebend Platz. Wenn es keiner sah, bekam ich spitze Ellenbogen in den Rücken und die Rippen. Ich fühlte keinen Schmerz. Das, was weh tat, das waren Leonardo und Lavendel. Selbst ihre Namen schienen zusammenzugehören.
     
    In der Schwedischstunde sollten wir von unseren Büchern berichten. Grrregerrr rief mich auf.
    »Jean-Paul Sartre«, sagte ich. »Der Existentialismus ist ein Humanismus.«
    »Nicht gerade das Einfachste«, nickte er.
    »Die Freiheit«, sagte ich. »Das Buch handelt davon, dass man frei ist. Man kann sich aussuchen, wer man werden will. Es gibt niemanden, der von Anfang an mutig ist, man entscheidet sich dazu, mutig zu werden.«
    »Und wie?«
    »Man begeht eine mutige Tat. Auch wenn man Angst hat, kann man gegen den Strom schwimmen.«
    »Kann man sich auch entscheiden, feige zu sein?«
    »Ja, natürlich, das entscheidet man ganz allein. Man trifft sein Leben lang die Entscheidung. Vielleicht ist man feige und haut schnell ab, aber das kann man später nicht auf andere Dinge schieben. Denn man hat sich selbst entschieden, ein feiges Leben zu leben.«
    »Was für eine große Verantwortung.«
    »Das ist es, was die Freiheit ausmacht. Man kann sich nicht herausreden. Wenn man sich nicht entscheidet, dann ist das auch schon eine Wahl. Dann entscheidet man sich dafür, zu leben, ohne darüber nachzudenken, es gibt viele, die das aus Angst tun. Wenn alle begreifen würden, wie frei sie sind, würden sie riesige Ängste entwickeln, meint Sartre.«
    »Wieso das?«
    »Weil die Verantwortung so enorm ist. Es gibt keinen Gott, kein Schicksal. Es gibt nur dich selbst und dein eines Leben.«
    »Danke«, nickte Greger. »Sehr gut. Wirklich sehr gut.«
    Ich schielte in die Klasse. Mehrere der Arschgeigen taten, als schliefen sie, während die Idioten offenbar nicht die Bohne kapiert hatten.
    »Dann nehmen wir die Nächste. Cornelia, du hast dir einen richtigen Klassiker ausgesucht.«
    »Ja, Das rote Zimmer von August Strindberg. Ich muss sagen, das hat mir richtig gut gefallen.«
    Sie ging mit frisch aufgelegtem Lipgloss ans Lehrerpult.
    »August Strindberg war ein Schriftsteller mit einem riesigen Wortschatz. Man hat eine Statistik seiner Bücher aufgestellt, und an der kann man sehen, dass er unglaublich viele verschiedene Wörter

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