Erschiess die Apfelsine
Sprachenflügel hochgehen, als jemand neben mich huschte.
»Der reine Zirkus, nicht wahr?«
Es war Pålle.
»Gehst du in die Aula?«
»Propaganda für kleine Leute«, sagte er leise kichernd. »Übrigens, hat dir die Show gestern gefallen?«
»Das Wandbild?«
»Nein, später. Am Nachmittag.«
»Die Bombendrohung?«
»Na, was man so Drohung nennt. Es hat genügt, zu sagen: ›Bombardier den Dreck‹, und aufzulegen. Das war ja ein Gedicht, oder? Poesie.«
»Dann warst du es, der …«
Pålle legte lächelnd den Finger auf die Lippen. Dann war er verschwunden.
Was ist Essen? Essen, das sind aufgewärmte Muskeln toter Tiere. Und aufgewärmte Wurzelteile, die in der Erde zwischen Würmern, Leichen und Modder gewachsen sind. Essen ist Schmutz. Essen ist Verunreinigung. Wir stopfen sie uns in den Körper und würden am liebsten kotzen. Essen ist Teil unseres jämmerlichen Planeten. Um ihn verlassen zu können, müssen wir uns weigern zu essen. Essen macht uns zu Sklaven. Essen verdrängt unsere Gedanken. Wir freuen uns aufs Essen, wir schaufeln alles in uns hinein, was uns vorgesetzt wird.
Ich stand in der Essensschlange, wie ich es während meiner gesamten Schulzeit getan hatte. Vollkommen sinnlos, wie viele Hunderte von Stunden hatte ich vergeudet, indem ich mich ums Essen gekümmert hatte? Als ich endlich an der Reihe war und den Serviertrog erreicht hatte, sah ich, dass man an diesem Tag tote Muskelteile zermahlen hatte, um sie zu einer Fleischpampe zu zerkochen, die mit zusammengepappten weißen Würmerhaufen, genannt Spaghetti, serviert wurde. Die Leute schaufelten sie wie die Irren in sich hinein.
»Gebratene Leichen!«, rief ich aus.
Ich hätte eigentlich nicht so laut rufen müssen, aber ich wollte Aufmerksamkeit erregen. Eine der Küchenfeen machte eine gleichgültige Geste hin zum Vegetarischen Tisch, sie hatte schon lange aufgehört, mit den Vegetariern an der Schule zu diskutieren. Ich schlurfte dorthin. Die Spaghetti waren die gleichen, aber die Soße war rötlich und roch nach Essig, als ich darin herumrührte, bekam sie grüne Streifen.
»Gut gesagt«, kommentierte ein langhaariger Typ, er hatte meine Worte gehört und glaubte nun, ich säße mit im Vegetarierboot.
»Und ihr steht hier herum und ermordet Tomaten!«, empörte ich mich und warf dem Typen und der ganzen Vegaschlange hinter mir böse Blicke zu. »Und Bohnen und Erbsen zermalmt ihr mit euren Zähnen, Samen, die wachsen und zu neuen Pflanzen werden könnten, verdammte Fötusfresser, verdammte Scheiße!«
Mit einem Ruck drehte ich mich um und verließ sie alle, zufrieden über ihre verblüfften Gesichter. Die Vegetarier waren genauso falsch wie die Arschgeigen in der Klasse, sie glaubten, etwas Besseres zu sein als die anderen. Ich hasste alle, die ihre Nackenmuskeln anspannten und mit japanischen Essstäbchen im Arsch herumstolzierten. Außerdem bekam ich bereits richtig schlechte Laune, weil ich so hungrig war.
»Ihr habt doch alle Scheiße im Bauch!«, schrie ich zum Abschied und verließ die Kantine.
Ich weiß nicht so recht, was ich damit eigentlich meinte, aber es klang richtig punkig. Außerdem stimmte es ja.
Heimlich huschte ich auf die Toilette und trank Wasser. Ich hatte beschlossen, dass Wasser erlaubt war, auch wenn die Fische darin fickten. Nach vier Bechern stellte sich eine Art Sättigungsgefühl ein, eine ballonartige Kugel im Magen, die mich etwas ruhiger werden ließ.
Ich setzte mich draußen auf dem Flur auf den Boden, gegen die Wand gelehnt, und las weiter in Hunger. Spürte, wie das Trinkwasser aus dem Magen verschwand und die Wut zurückkam.
»Fresst nur, ihr Sklaven«, zischte ich. »Kaut euch doch zu Tode. Ich selbst bin schon im nächsten Stadium.«
Um welches Stadium es sich dabei handelte, war nicht ganz klar, und die anderen Schüler wichen mir aus, der ich da auf dem Boden hockte und vor mich hin plapperte. War ich dabei, wahnsinnig zu werden? Würde ich eine Offenbarung haben wie die alten Propheten? Die hatten sich aufgemacht in die Wüste und vierzig Tage gefastet, bevor sie ihre Bibeln und Koräne schrieben. Ich legte meine Stirn auf die Knie und schloss die Augen. Verschiedene Farben drehten sich auf den Augenlidern, grün und blau. Ich versuchte schneller zu atmen, füllte den Körper mit Sauerstoff. Ein wenig Gelb tauchte an den Rändern auf. Gelbe Punkte, die zitterten. Mehr, mehr, ich spürte es kommen. Rot auch noch. Eine Sichel quer durch das Blickfeld, oooh …
Ich richtete mich
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