Erst der Sex, dann das Vergnügen: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
viel zu magere Österreicherin, die seit der Stunde null bei ihm bediente, letztes Jahr von ihm befördert worden war und die ihn länger kannte als ich), den trinkfesten Iren Ian als stellvertretenden Geschäftsführer und dann einen Oberkellner, einen Unterkellner, einen Barchef, einen stellvertretenden Barchef, einen Barmann ohne Chef, einen kompletten Stab fleißiger Seelen. Ich hingegen war mein eigener Stellvertreter. Ich schmiss alles alleine, Laden, Einkauf, Vertrieb, Modelle entwerfen. (Die zeichnete ich tatsächlich einfach mit dem Bleistift auf einen Block. Den Abendkurs »Illustrator – Modedesign 2 . 0 « bei einem Kursleiter, der aussah wie Ottfried Fischer und mit Joop und Lagerfeld so viel zu tun hatte wie das Walross Antje mit einer Siamkatze, hatte ich völlig desorientiert nach zwei Stunden abgebrochen.) Und dann waren da noch das Lookbook und die Website, und das Casting der Babymodels dafür. Es gab nämlich tatsächlich Models, die zwischen drei und sechs Monaten alt waren. Am liebsten waren mir die, bei denen unten gerade die allerersten Zähne durchgebrochen waren, das verlieh dem unschuldigen Babystrahlen so etwas leicht Diabolisches.
Die Einzigen, deren Hilfe ich in Anspruch nahm, waren Nastja und Uschi, zwei freiberufliche Strickerinnen aus Georgien und der Oberpfalz. Und alle drei Monate besuchte mich mein Vater, um mir bei der Buchhaltung zu helfen. Ich war also die totale One-Heidi-Show, aber das war auch gut so. Wer könnte sonst den Strickerinnen erklären, was ich mit meinen Zeichnungen eigentlich gemeint hatte, und ihnen auch einmal die Nadel aus der Hand nehmen, wenn was nicht so lief mit der Kommunikation? Ich war selbst immer wieder erstaunt darüber, wie viel ich stemmen konnte, seit ich das machte, worauf ich wirklich Lust hatte.
Bisher hatte ich nur ein einziges Mal den Überblick verloren. Seitdem lagerten in einem der begehbaren Kleiderschränke meiner Freundin Charlotte, die durch ihre Beziehung mit dem Filmproduzenten Bernhard Zockel mit mehr Wohnraum gesegnet war als ich, fünfzigtausend Pinocchio-Knöpfe. Ich hatte mich den asiatischen Knopfmachern wohl nicht so gut verständlich machen können, als ich per E -Mail und Webcam meine Bestellung getätigt hatte. Aber wer hatte schon Zeit, wegen Knöpfen nach China zu fliegen? Ich jedenfalls nicht, ich hatte ja noch nicht mal Zeit, am Wochenende in Ruhe mit meinem Freund zu frühstücken. Meistens war der sowieso morgens um sechs zum Surfen an die Ostsee aufgebrochen. (Ohne mich. Das Surfen war mir zu kalt, zu windig, zu salzig. Kaum zu glauben, mit welcher Begeisterung ich mich früher bei jedem Wetter auf meine Ski gestellt hatte. Aber das war lange her, und inzwischen fand ich, dass ein Aperol Sprizz genauso gut für den Kreislauf sein konnte.) Jedenfalls hatte ich die Pinocchio-Knöpfe bestellt in einer Zeit, in der die Hölle los gewesen war, ich war auf dem Weg zur Babymesse nach Köln gewesen, obwohl die nächste Kollektion noch nicht online, geschweige denn fertig entworfen war. Sommerkollektionen für Babystricksachen waren heikel, leichte Mützen gegen Sonne und Zugluft und Krabbeldecken wurden dann wichtig, und meine eigentlichen Markenzeichen, die geringelten Kaschmirpullis, traten in den Hintergrund. Deshalb hatte ich die fünfzig schriftzeichenbedruckten Schachteln à tausend Pinocchio-Knöpfe erst einmal zu Charlotte verfrachtet und viel zu spät realisiert, dass ich sie nicht verwenden konnte: Die mindestens einen Zentimeter hervorstehenden Nasen waren eindeutig zu spitz, als dass ich sie guten Gewissens an eine Babyjacke hätte nähen können.
Langweilig wurde mir jedenfalls nicht. Und in diesen atemlosen Alltag noch ein Kind hineinsetzen? In eine Welt, in der Ölpest, Börsencrash und Chiligummibärchen an der Tagesordnung waren? Ein plärrendes, kackendes, hilfloses Ding, das die ersten Jahre seines Lebens mit dem Leben an sich so überfordert sein würde wie ein Grottenolm mit der Sonne am Strand von Bibione? Ich hatte den Babys zwar viel zu verdanken, gaben ihre Mamas doch ihr Elterngeld für sie aus, und zwar in meinem kleinen Laden am Kollwitzplatz. Nicht umsonst wurde Prenzlauer Berg überall »pregnant hill« genannt – weil mein Viertel über seine Grenzen hinaus als die eifrigste Legebatterie Deutschlands bekannt war. Und außerdem hatte ich über Babys meine Freundin Charlotte kennengelernt. In der Castingagentur Äpfel & Birnen, die eigentlich auf Kinder spezialisiert war und in die sich
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