Erst der Sex, dann das Vergnügen: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
marschieren wollte. Bozen war schließlich eine italienische Stadt. Und ich brauchte neue Übergangsstiefel. Am liebsten halbhohe, aus weichem, knautschigem Leder und mit weitem Schaft, denn die sollten zusammen mit Leggings und übergroßen Pullis mein Outfit für diesen Frühling werden. Schließlich lenkte eine solche Betonung meiner immer noch sportlich-schlanken Waden erfolgreich vom proportional unausgegorenen Gesamtkonzept meines Körpers ab. Und vielleicht auch eine neue Tasche? Schließlich war ich seit fünf Jahren eine Frau mit einem eigenen Modelabel, auch wenn es dabei um die Allerkleinsten ging. Repräsentieren war also alles.
Doktor Süßmann stand weiter vor mir und wartete auf meine Ansage, das angewärmte Instrument mit der neuen Spirale war in seiner erwartungsvoll emporgehaltenen rechten Hand wahrscheinlich längst ausgekühlt. Ich schloss mit mir einen Kompromiss: Ich würde nach Südtirol fahren, und wenn ich dort die richtigen Stiefel finden würde, eine einmalige Gelegenheit sozusagen, dann war es besser, wenn ich mein Taschengeld jetzt nicht bei meinem Gyn ließe. Und verhüten ließ sich schließlich auch anders, vor allem, wenn Felix und ich mehr oder weniger gerade eine Fernbeziehung lebten, weil er so viel in München war. Und wenn dann auf dem Heimweg aus Südtirol das Geld noch da wäre, könnte ich immer noch schnell einen Termin vereinbaren.
»Ich lass das mal mit der Spirale − und mir dafür das mit der Familienplanung mal durch den Kopf gehen«, teilte ich ihm deshalb mit, meine Überlegungen bezüglich Stiefeln und Tasche ließ ich als nebensächliche Information unter den Tisch fallen. Doktor Süßmann schmiss die GT 2001 zurück in die Schublade und begrüßte meine Entscheidung. »Viele Frauen und Paare müssen einen sehr langen Leidensweg auf sich nehmen, weil sie zu lange warten. In Ihrem Alter kann es schon mal zwei Jahre und länger dauern, bis Sie schwanger werden.«
Na also, dachte ich, du bist quasi schon unfruchtbar, kann also überhaupt nichts passieren.
2
»Wer bist du?!«
»Ich bin die Heidi, die Freundin von Felix, deinem Enkel!«
»Freundin?«
»Ja! Schon seit sieben Jahren! Du hast uns deinen Segen gegeben!«
»Meinen Segen?« Oma Schweiger sprach langsam und überdeutlich, betonte die letzten Silben. »Das weiß ich. Ich weiß das. Natürlich weiß ich das.«
Ich legte den Arm um die kleine alte Frau mit dem weichen Flaum auf den Backen und den leuchtend weißen Haaren. Sie war dünn wie ein kleiner Vogel und schmiegte ihren Kopf mit geschlossenen Augen an meine Schulter. Durch den Stoff ihres lose sitzenden schwarzen Kleides mit dem goldenen Paisleymuster spürte ich ihre Rippen, und mir fiel ein, dass ihr vor einem Monat die linke Brust entfernt worden war.
»Ich bin müde«, sagte sie.
»Ich bin auch müde«, sagte ich sehr laut, »komm, Oma, wir schlafen hier im Stehen. Pferde und Kühe schlafen auch im Stehen.«
Sie kicherte und fing noch mehr an zu strahlen, als ein Mann mit einem dunkelbraunen Vollbart auf alten Nike-Turnschuhen lautlos ins Zimmer kam und sich nach einem Blatt Papier mit Notenzeilen bückte, das ihm aus der Hand geglitten war. Jeden anderen hätte die Oma in einem derartigen Aufzug des Zimmers verwiesen, doch Felix durfte sich alles erlauben. Er war der Einzige, der den Schleier aus Verwirrung und Angst noch lupfen konnte, in den die Krankheit sie gehüllt hatte. Er war ihr Ein und Alles, ihr einziger Enkel. Ich ließ die alte Dame vorsichtig los und nahm Felix’ freie Hand, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Meine Nase ließ ich länger als nötig in der Kuhle an seinem Schlüsselbein. Lecker. Wie konnte ein erwachsener Mann nur so sehr nach Baby riechen, warm und weich? Sicher ein Schachzug von Mutter Natur, um mir zu signalisieren, dass dieser Kerl der Richtige für mich war. Auch wenn Felix’ frisch gewachsener Vollbart, der inzwischen ziemlich dicht geworden war, mir nicht mehr viel Chancen ließ, diese Pheromone noch zu finden. Sah ja gut und wild aus, schließlich liefen auch Supermänner wie Brad Pitt und der spanische Kronhengst Felipe gerade mit Pelz im Gesicht herum, aber in der Gala stand neben den Fotos nie, wie Angelina und Letizia das so fanden.
»Wer bist du?!«, fragte mich Oma Schweiger abermals. Ich kannte das und antwortete stoisch: »Ich bin die Heidi, die Freundin von Felix, deinem Enkel! Und du hast uns deinen Segen gegeben!«
»Meinen Segen? Ja, das weiß ich. Ich weiß das. Das
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