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Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Erst mal bis zur nächsten Kuh...

Titel: Erst mal bis zur nächsten Kuh... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Barth
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er mich vor dem Zubettgehen. Ich schreibe aus dem Losungsbüchlein der
Herrnhuter Brüdergemeine:
     
    „ Gott, du liebst
uns wie ein Vater,
    du
sorgst für uns wie eine Mutter.
    Wie
ein Bruder hast du unser Leben geteilt.
    Wir
bekennen vor dir, dass wir nicht fähig sind,
    als
deine Kinder zu leben,
    als
Schwestern und Brüder verbunden durch dasselbe Band der Liebe.
    Wir
erheben unsere Hände zu dir.
     
    Gib uns
den Mut, immer wieder aufzubrechen
    und uns
auf den Weg zu machen.
    Gib uns
die Gewissheit, dass du mit uns gehst
    und
dass wir niemals allein sind.
    Gib uns
die Hoffnung, dass dort, wo unsere Wege enden,
    dein
Weg weiterführt zum Ziel.“
     
    Gebet für die Pilger. Gebet auch für
mich.

Fernsehmesse
     
    In Miramont-Sensacq im Gîte communal , der von der Gemeinde betriebenen
Pilgerherberge, lerne ich Nicole und Gilbert kennen, ein fröhliches Ehepaar,
das für zwei Wochen ehrenamtlich die Pilger betreut. Wir sind nur drei Gäste an
diesem Tag, Gloria aus New York, ihre Tochter Amelie und ich. Nicole hat
Spaghetti gekocht mit Tomatensoße, es gibt Salat, Käse und Nachtisch und
natürlich eine Flasche Rotwein. Gilbert hat Zahnschmerzen, aber er und seine
Frau freuen sich, dass wir gekommen sind, und wir verstehen uns prächtig. Ein
paar Stunden zuvor haben wir uns nicht gekannt, nichts voneinander gewusst -
und jetzt sitzen wir um einen gemeinsamen Tisch, verständigen uns mit
Französisch, Deutsch und Englisch. Wunder der Gastfreundschaft!
    Am anderen Tag ist Sonntag. Die
Dorfkirchen sind offen - aber es ist nirgendwo ein Gottesdienst. Nach endlosen
Sonnenblumen- und Maisfeldern - ein einsames Bauernhaus. Ein Schäferhund bellt
an einer Kette. Fast bin ich schon vorübergegangen, da stürzt ein Mann im
Unterhemd aus der Tür, gestikuliert wild, winkt mir zu. Was will er denn? Er
führt mich in sein Haus, zeigt auf den Fernsehapparat. Es wird gerade eine
katholische Messe übertragen - es ist doch Sonntag. Ich verstehe - der Pilger
soll Gelegenheit haben, an der Messe teilzunehmen. Der Mann im Unterhemd nötigt
mich, Platz zu nehmen, dann geht er erst mal zum Schrank und holt eine Flasche
Rotwein und zwei Gläser heraus. „A votre santé!“
    Seine Frau kommt, eine kleine Dicke mit
schmuddeliger Küchenschürze, ich stehe auf, will sie begrüßen und ein paar
Worte mit ihr wechseln. „Seht! La messe“, zischt er seine Frau an. Die Frau
gibt ein paar Widerworte, und nach kurzem Disput rauscht sie davon und schlägt
die Tür hinter sich zu. Mein Gastgeber ist unbeeindruckt, im Fernsehen wird
gerade das Evangelium gelesen, er steht auf und bekreuzigt sich. Auch ich stehe
auf und bekreuzige mich. Später die Einsetzungsworte zum Abendmahl, der
Friedensgruß. Er kommt um den Tisch herum auf meine Seite und schüttelt mir
fest die Hand. Und seine Frau? Ich deute auf die Tür. Er wehrt ab - die Frau
kriegt keinen Friedensgruß! Im Fernsehen wird das Vaterunser gebetet, mein
Nachbar zündet sich eine Zigarette an. Bei der Austeilung stellt er leiser, so,
das war’s!
    Er zeigt mir ein paar Familienfotos,
die an der Wand hängen. Der Großvater - gefallen im ersten Weltkrieg. Endlich
taucht auch die Frau wieder auf. „ Vous voulez manger avec nous?“ Nein, ich will nicht zum Essen bleiben, der Weg ist noch weit. Aber wie
wäre es mit einem Erinnerungsfoto? „ Sous la vierge “, sagt die Frau strahlend. Unter der Jungfrau Maria,
die in Gips auf dem Kaminsims steht, möchte sie gern fotografiert werden. Der
Mann im Unterhemd verschwindet im Nebenzimmer und holt seine Baskenmütze. Wenn
schon Foto, dann aber mit allen Schikanen!

Parallele Wanderung und unverhoffte Begegnung
     
    In Uzan übernachte ich in einem alten leerstehenden Bauernhaus, das einmal von Familie Peranaud bewohnt worden war. Offener Kamin, alte Schränke,
ein großer Tisch und vergilbte Familienfotos an den
    Wänden. Eine Frau kommt und kassiert
zehn Euro für meinen Schlafplatz, vielleicht die Tochter oder Schwiegertochter
der früheren Bewohner. Den Namen der Familie finde ich auf dem kleinen
Dorffriedhof nebenan. Abends vor dem Haus sitzend, versuche ich mir
vorzustellen, wie das Leben in diesem Haus wohl ausgesehen haben mochte vor
Jahren und Jahrzehnten. Kinderlachen, die Kuh im Stall, der Topf auf dem Herd,
der Großvater im Lehnstuhl mit einer Pfeife im Mund, Freude und Leid,
vielleicht über Generationen hin. Nun steht das Haus leer, stumm, vergessen die
Geschichten, die sich darin zugetragen haben mochten, nichts bleibt wie es

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