Erst mal bis zur nächsten Kuh...
ist.
Die Vergänglichkeit - in solchen Augenblicken ist sie mit Händen zu greifen.
Im Morgengrauen packe ich meinen
Rucksack, es ist halb sieben und noch nicht einmal richtig hell. Irgendetwas
treibt mich weg von diesem leer gewordenen Haus. Frühstück? Erst mal eine
Bäckerei finden in dieser Gegend - zumal in Frankreich montags viele Läden
geschlossen sind. Maisfelder, irgendwo ein paar Häuser, sonst nichts. Nach zehn
Kilometern eine kleine romanische Kapelle aus dem 12. Jahrhundert, Chapelle de Coubin , und daneben
Tisch und Bänke. In meinem Rucksack sind noch ein paar Kekse, und meine
Wasserflasche habe ich morgens in Uzan frisch
aufgefüllt. Also reicht es zu einem bescheidenen Frühstück.
Da kommt eine Frau des Weges - und wir
erkennen uns sofort. Es ist Claudia aus München. Vor sieben Wochen oder anders
gesagt vor rund tausend Kilometern haben wir schon einmal zusammen gefrühstückt,
im Kloster der Zisterzienserinnen zu Romont . Und nun
ein Wiedersehen. Wir vergleichen unsere Wege und stellen fest: Sieben Wochen
sind wir praktisch parallel hinter- oder voreinander her gelaufen, ohne uns ein
einziges Mal zu treffen. Es tut uns beiden gut, mit jemandem in der eigenen
Sprache zu sprechen, wir verstehen uns. Und aus einem gemeinsamen zweiten
Frühstück an der Chapelle de Coubin werden zwei gemeinsame Wochen auf dem Jakobsweg. Als wir uns viel später in
Burgos voneinander verabschieden, geschieht es nicht ohne eine Spur von Wehmut.
Aber wir wollen den Jakobsweg jeder für sich allein beenden, so wie wir ihn
angefangen haben, dankbar für das gemeinsame Wegstück und mit der gegenseitigen
Adresse im Rucksack.
Ein
baskischer Abend
Vor der Herberge in Sauvelade sitzt ein deutscher Radfahrer in einem gelben Trikot und trinkt ein Bier. Er
freut sich, dass er mit jemandem deutsch reden kann und möchte seinen Frust
loswerden. Seit Hamburg ist er unterwegs, viel zu
viele Hügel, meint er, die Reise sei die reinste Plackerei. „Lass doch dein
Fahrrad stehen und geh zu Fuß“, rate ich ihm. „Du brauchst zwar länger, aber du
siehst mehr!“ Nein, jetzt will er’s durchziehen. Aufgeben gilt nicht. Man
will’s ja auch hinter sich bringen.
Hinter dem Fluss Le Saison beginnt das
Baskenland. Von den sieben baskischen Provinzen liegen drei in Frankreich.
Zweisprachig sind jetzt die Ortsschilder, die Häuser sind mit großen
Natursteinen gefasst, meist steht der Erbauer im Türsturz nachzulesen. Und auf
den Friedhöfen sind die Grabsteine auf Stelen gestellte Scheiben.
Bei Ostabat treffen drei der vier
Jakobswege Frankreichs zusammen, und in den Reiseführern kann man nachlesen,
dass viele tausend Pilger schon seit dem 10. Jahrhundert hier vorbeigekommen
sind und es früher zahlreiche Pilgerherbergen gab. Claudia und ich übernachten
auf dem Bauernhof Gaineko-Etxea und erleben beim
Abendessen einen unerwarteten baskischen Abend mit Musik. Die Bauersfrau
versorgt die circa dreißig Gäste mit allem, was Küche und Keller bieten, ihr
Ehemann unterhält sie alle währenddessen mit seinem Gesang. Alle müssen
mitsingen, Zeile um Zeile singt der Wirt vor mit markiger, tiefer Stimme,
klopft mit seinem Stab auf den Fußboden und dirigiert dann Tisch für Tisch,
lässt auch wiederholen, wenn es nicht richtig klappt, denn die Franzosen können
genauso wenig baskisch singen wie ich. Der Wein fließt in Strömen. Als
Nachtisch gibt es Käse mit Kirschmarmelade, eine Spezialität aus dem
Baskenland. Und noch ein Lied und noch ein Lied.
Spanien
Das Ende der Stille in Roncesvalles
„Der Aufstieg von
Saint-Jean-Pied-de-Port nach Roncesvalles ist sehr beschwerlich“, lese ich in
meinem kleinen Reiseführer. Und so rechne ich mit gewaltigen Anstrengungen beim
Übergang von Frankreich nach Spanien, beim Überqueren der Pyrenäen. Aber alles
halb so wild. Bei einem Anlauf von über 1000 Kilometern ist der Weg übers
Gebirge ein Klacks! Natürlich geht es aufwärts, aber Schritt für Schritt geht
es höher hinauf und die Aussicht wird grandios. Ich muss an Bruder Klaus denken
im Ranft, dessen Kapelle in der Schlucht ich besucht hatte vor Wochen. Warum
zieht er sich zurück in eine enge Schlucht? Mir schnürt die Enge die Kehle zu.
Und umgekehrt: Wenn es hinauf geht und sich der Blick weitet, dann atme ich auf
und fühle mich wohl. „Man merkt gar nichts von der Grenze“, sage ich abends in
der baskischen Pilgerherberge „ Orisson “ zu einer
Lothringerin.
„Wir sind doch jetzt in Europa!
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