Erstens kommt es anders ... (German Edition)
bereits November schrieb, machte sie sich keine großen Gedanken über den nahenden Wintereinbruch. Erfrieren würde sie garantiert nicht.
Es existierte auch eine kleine Kochstelle, mit einem derben Blümchenvorhang vom Wohn- und Schlafraum separiert. Auch die funktionierte nur, wenn man zuvor den Strom mittels der guten alten Dollarnoten köderte. Und genau hier wurden die Dinge bedeutend komplizierter. Knauserig mochte sie sein – Bianca und ihre Mom hätten das sofort und mit Begeisterung bestätigt. Jedoch handelte es sich bei Stephanie Grace um keine dumme Person und schon gar keine einfältige. Wollte sie den kräftezehrenden täglichen Marathon überstehen, gab es beim Thema Essen keine Alternative, als genau das zu tun: Essen, und zwar warm.
Der Besitzer des Cafés, das in Wahrheit nur eine etwas bessere Bäckerei war, überließ ihr an jedem Morgen für ein paar Cent die Brötchen vom Vortag. Die stellten ihre hauptsächliche Nahrung dar. Abends bereitete sie sich darüber hinaus eine dieser Instanttütensuppen zu. Die wärmte durch und sorgte dafür, dass Stevie nicht auf die Heizung zurückgreifen musste. Denn derzeit war sie leider restlos pleite. Weshalb sie an jenem ersten Montagabend seufzend und mit Sicherheit nicht sehr glücklich, ein striktes Tabu gebrochen hatte: Stevie griff ihre eiserne Reserve an. Jene, die für den absoluten Notfall gedacht war:
Den Sarg - und - Sonstiges - Fond.
Vorgesehen für akute Erkrankungen, Gläubiger, die sie sogar erfolgreich bis hierher gestalkt hatten und unvorhergesehene Sterbefälle.
Viel hatte sie bis dato nicht beiseitelegen können, kümmerliche zweihundert Dollar waren zusammengekommen, die garantiert nicht genügen würden, um einen Sarg zu finanzieren. Und jetzt vergriff sie sich daran! Eine andere Lösung wollte ihr aber partout nicht einfallen. Tat sie es nicht, ging das mit der Arbeit irgendwann zwangsläufig schief. Sooft Stevie sich jedoch dieses durchaus überzeugende Argument vorbetete, es erleichterte ihr Gewissen dummerweise auch nicht sonderlich.
Ja, ihre Arbeitszeit belief sich eher auf zwölf als zehn Stunden. Was leider nicht bedeutete, dass sie um acht Uhr morgens damit begann und ehrlich erschöpft abends um acht nach Hause gehen konnte. Aus unerfindlichen Gründen war innerhalb der Bürozeiten eine einstündige Pause eingebettet. Stevie verbrachte sie meist in einem nahen Park auf einer Bank, wo sie ihre altbackenen Brötchen aß. Dann begab sie sich erneut auf den Weg zu jenem viktorianischen Bau, um die zweite Hälfte ihres Arbeitstages hinter sich zu bringen. Der endete übrigens selten vor zehn Uhr abends.
Oh nein, einfach hätte sie ihr Leben ganz bestimmt nicht bezeichnet. Weder die Kälte in der Nacht, noch die langen Fußmärsche waren auf die Dauer gesehen wirklich empfehlenswert. Außerdem begann Stevie langsam zu ahnen, dass sie die Geschichte mit dem Winter wohl auch ein wenig auf die leichte Schulter genommen hatte. Und nach einer Woche ausschließlich mit Brötchen und synthetischer Suppe hätte sie für einen simplen Zuckerkrapfen getötet.
Dennoch:
Zum ersten Mal seit nahezu vier Jahren war sie beinahe zufrieden. Praktisch konnte ihr Leben nur eine Richtung nehmen: von ganz weit unten nach oben.
Und sie war bereit, alles zu tun, alles zu geben und auf jedes noch so geringe Vergnügen zu verzichten, damit es ein sehr langer und erfolgreicher Gipfelsturm wurde ...
* * *
enata, das haben wir bereits unzählige Male debattiert!«
Gelangweilt leerte er sein Glas und winkte dann damit dem Barmann.
»Das ist lächerlich!«, erwiderte sie. »Du weißt genauso gut wie ich, wie gern Dad ...«
Sein Kopf fuhr zu ihr herum, die Augen blitzten. »Zum allerletzten Mal! Nein!« Schon widmete er sich wieder dem nicht vorhandenen Inhalt seines Glases.
Renata beabsichtigte nicht, so schnell aufzugeben. Seit letztem August zählte sie dreißig Lenze, weshalb sie zunehmend eine gewisse Rastlosigkeit plagte. Lief sie nicht bald im Hafen der Ehe ein, würde sie bei ihren Freundinnen als ‚übrig geblieben’ gelten. Und dieser Mistkerl zierte sich wie eine Jungfrau! Lächerlich! »Wir würden fantastisch zusammenpassen!«, beharrte sie mit einem leichten Anflug von Ungeduld.
Ohne von seinem Glas aufzusehen, schüttelte er den Kopf. »Das wage ich ernsthaft, zu bezweifeln.«
»Tust du das?« Mit zur Seite geneigtem Kopf ließ sie einen Finger an seiner Brust herabgleiten und seine Lider senkten sich unwillkürlich, wenngleich er
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