Erstens kommt es anders ... (German Edition)
die eher unscheinbare Annonce jener Anwaltskanzlei stieß, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Die zweite Hürde, die telefonische Vereinbarung des Vorstellungsgespräches, überstand sie auch, ohne wie sonst aus den diversen an den Haaren herbeigezogenen Gründen aus dem Rennen gekickt zu werden. So weit zu kommen – hatte Stevie innerhalb der vergangenen Wochen gelernt – ähnelte bereits einem mittleren Wunder.
Und so investierte sie alles von ihrer Kraft Verbliebene in das bevorstehende Gespräch. Von ihrem letzten Geld – wortwörtlich – erstand sie neue Strumpfhosen, weshalb sie nur hoffen konnte, dass dieser Mr. Rogers sie nicht nur nahm – das stand, sowieso fest, sonst war sie nämlich geliefert - sondern dass der Mann wie allgemein üblich wöchentlich zahlte. Ansonsten war sie am Ende. Daran wollte Stevie allerdings nicht denken, als sie den schweren Gang zu jenem viktorianischen Bau antrat.
Dies war ihre letzte Chance und sie würde sie nutzen, so wahr sie Stephanie Grace hieß.
Der Bürobereich des Hauses bestand aus einer riesigen Bibliothek und einem Vorzimmer, das ungefähr die dreifachen Ausmaße von Stevies derzeitigem Zimmer besaß. Hinzu kam Mr. Rogers Büro, dessen Größe in etwa dem Haus entsprach, in dem Bianca und Vanessa wohnten …
Kurz darauf saß Stevie ihrer sprichwörtlich letzten Hoffnung gegenüber und betete, dass die ihr Herzklopfen nicht hörte. Michael Rogers Jugend und Attraktivität hatten sie zunächst ein wenig verblüfft. Wenn sie an einen Notar dachte, sah sie immer einen älteren, ehrwürdigen Herrn vor ihrem geistigen Auge.
Doch ob jung oder alt interessierte im Grunde nicht. Er hatte den Job, den Stevie brauchte und sie war entschlossen, ihn sich zu holen.
Also den Job. Egal, was es kostete.
»Sie haben bereits als Anwaltsgehilfin gearbeitet?« Flüchtig sah er auf und Stevie traf ein kühler Blick aus dunklen Augen.
»Nein, Sir. Aber ich verfüge durch mein Studium über das erforderliche Wissen.«
»Zeugnisse?« Sie reichte ihm die Unterlagen und er blätterte sie durch. Nach einer Weile sah er auf. »Warum haben Sie Ihr Jurastudium nicht abgeschlossen?«
»Aus persönlichen Gründen, Sir.«
Sein Kopf fuhr hoch und er musterte sie scharf. »Gesundheitlicher Natur?«
»Nein, Sir. Ich bin kerngesund.«
»Ist das so?« Das wirkte sowohl ziemlich zweifelnd als auch total arrogant und anmaßend. Was dachte sich dieser Kerl eigentlich? Etwas klein und schmal mochte sie sein, kein Wunder, wenn man mit zehn Dollar die Woche auskommen musste. Doch er ahnte nicht einmal, welche bedingungslose Härte sich hinter der mickrigen Fassade verbarg. Stevies Kinn ging in die Höhe. »Ja, Sir, das ist so!«
Der schmale Mund zuckte kaum merklich, dann blickte er erneut in ihre Unterlagen. »Wie alt sind Sie?«
»Sechsundzwanzig, Sir.«
»Ein wenig alt für ein Jurastudium, oder?«
Klasse! Immer aufs Schlimme! Der Typ wusste ganz genau, wie und was er fragen musste, um an die Informationen zu gelangen, die Stevie lieber verschwiegen hätte. Na ja, Anwalt eben. »Vor vier Jahren ging ich von der Uni ab. Seitdem lebte ich von meinem Erbe.«
»Oh!« Unvermutet hoben sich seine dunklen Augenbrauen. »Und nun ist es aufgebraucht?«
»Ja, Sir.«
»Und daher wollen Sie es jetzt einmal mit Arbeiten versuchen?«
Ihr Kinn hob sich um eine weitere Nuance. »Ja. Sir.«
»Und darüber sind Sie nicht sonderlich glücklich?« In dem etwas hageren Gesicht machte sie jede Menge Spott aus … in der Stimme übrigens auch.
»Ich beklage mich nicht, Sir!«
»Nein, das tun Sie nicht«, murmelte er und widmete sich erneut ihren Unterlagen. »Während Ihrer Kindheit besuchten Sie ausschließlich Privatschulen, wie ich sehe?« Abermals warf er ihr einen musternden Blick zu.
»Ja, Sir.«
»Was darauf schließen lässt, dass Ihre Eltern vormals unter den allgemeinen Status: ‚gut situiert‘ fielen?«
Angespannt war die Situation ja ohnehin bereits, aber zunehmend kam Stevie sich so vor, als befände sie sich im Zeugenstand, wenn nicht sogar auf der Anklagebank. Was hatten ihre Eltern denn mit diesem Job zu tun? War dieser Mann immer so widerlich aufdringlich? Na dann, gute Nacht!
Kaum gedacht wies sie sich energisch zurecht, denn sie konnte sich nicht leisten, den Chef nach Sympathien auszusuchen, und im Grunde waren die sowieso total nebensächlich. Hauptsache, er zahlte ihr Gehalt pünktlich – und zwar wöchentlich!
Außerdem war er ja überhaupt nicht unsympathisch, eben nur
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