Erwin Strittmatter: Die Biographie (German Edition)
Jahr lang hingehalten, ehe sie mir die Ausreise gegeben haben. Das heißt, die haben sie mir gar nicht gegeben, sie haben mir ein Dreijahres-Visum gegeben, und dann bin ich weg, meine Familie ist mit weg. Und nach drei Jahren bin ich natürlich nicht zurückgegangen – völlig klar.«
FREUNDSCHAFTEN, KONKURRENZEN,
FEINDSCHAFTEN
Erwin und Eva Strittmatter standen im Zentrum eines großen Freundes- und Bekanntenkreises. In Schulzenhof waren sie häufige Gastgeber. Die spontanen Besucher, die an Sommerwochenenden einfach mal vorbeischauen wollten, wurden ihnen manchmal zu viel. Eva Strittmatter sorgte stets für die Bewirtung der Gäste und war wahrscheinlich für die Kontinuität in den Beziehungen zuständig, während Erwin gelegentlich auch zu Brüchen und Zerwürfnissen neigte. Nach Ansicht von Erich Loest umgab sich Strittmatter vor allem mit »den besten Genossen«. Er zählt Gerhard Holtz-Baumert und Hermann Kant auf, die in Schulzenhof aus und ein gegangen seien, aber Loest wusste nicht, dass es viele andere Freunde gab wie Hildegard Diener und Karl-Hermann Roehricht, die nicht Mitglied der SED waren.
Hermann Kant betonte in einem Gespräch mit mir Strittmatters große Hilfsbereitschaft: »Ich glaube, wenn die Leute, denen er geholfen hat, auf irgendeine Weise hier auf diesem Acker«, damit zeigte Kant auf die Wiese vor seinem Fenster, »antreten sollten, wird der voll. Also, da gibt’s überhaupt nichts. Ob mit Geld oder mit gutem Rat. Er war immer zur Stelle.« Im direkten Kontakt als Freund fand ihn Hermann Kant allerdings manchmal anstrengend. 409
Christa Wolf, die ich ein knappes Jahr vor ihrem Tod besuchte, meinte, sie hätte Erwin Strittmatter als einen unterhaltsamen und durchaus witzigen Gesprächspartner kennengelernt. Mit den Jahren sei er jedoch immer kauzigergeworden und habe sich mehr und mehr zurückgezogen. Die Abkühlung zwischen den Strittmatters und den Wolfs, die sich bis etwa Mitte der sechziger Jahre noch hin und wieder gegenseitig besuchten, hatte nicht zuletzt politische Gründe. Im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen der SED-Führung und den Künstlern wählten sie unterschiedliche Handlungsoptionen und entfernten sich voneinander.
Die Freundschaft mit Horst und Edith Beseler hatte über Jahrzehnte Bestand. Von Gerhard Holtz-Baumert zog sich Strittmatter Mitte der siebziger Jahre zurück. Die Begegnungen mit Alfred Wellm wurden seltener, als er aus der Schulzenhofer Nähe wegzog. Noch viele andere Schriftsteller und Maler, Nachbarn aus Schulzenhof und Dollgow ließen sich hier aufzählen.
Wenn ich in diesem Kapitel exemplarisch nur einige wenige Schriftstellerkollegen vorstelle, die in den verschiedenen Lebensphasen von Erwin Strittmatter eine Rolle spielten, so darf ein Name dabei nicht fehlen: Peter Jokostra. Um Strittmatters Beziehung zu ihm käme ich keinesfalls herum, schrieb Werner Liersch in einer E-Mail. Die bisherige »marginale Behandlung Jokostras« sei ein »grundsätzlicher Fehler«. Der Historiker Klaus Krause, der in einem Essay die Spremberger Zeit von Jokostra beleuchtet hat, mailte etwas Ähnliches: »Im Kontext eines wirklich kritischen Umgangs mit der Biographie von E. S. kann diese Freundschaft nicht mehr unterschlagen werden..
GESPRÄCH MIT HERMANN KANT
Ich treffe Hermann Kant am 3. Mai 2010 in seinem Haus in einem Dorf bei Neustrelitz. Es ist ein kleines Haus, eigentlich ein mit einem Schilfdach veredelter DDR-Bungalow, sehr idyllisch gelegen direkt am Ufer des Sees. Kant, der freimütig gesteht, dass er im Gegensatz zu seinem langjährigen Freund Erwin »kein Landmensch« sei, hat sich eher »aus Wendegründen« in dieses Haus zurückgezogen, als er in den neunziger Jahren zwei Wohnungen nicht mehr halten konnte. Im Winter sei der zentrale Raum, in dem wir beide an einem Tisch sitzen, nicht heizbar, sagt er. In dieser Zeit würde er nur die Kammer nebenan bewohnen. Aber heute muss er hier nur einen kleinen Heizlüfter einschalten. Die Sonne scheint durchs Fenster, und auf dem Tisch steht in einer Thermoskanne der Kaffee.
Hermann Kant erinnert sich nicht mehr an das Jahr, in dem er Erwin Strittmatter zum ersten Mal begegnete. Wahrscheinlich sei das Ende der fünfziger Jahre gewesen anlässlich einer Schriftstellertagung in Berlin. Er sei damals Assistent im Germanistischen Institut bei Hans Kaufmann gewesen. Kaufmann habe Strittmatter in der Mittagspause eine Frage gestellt und eine ungehaltene mürrische Antwort bekommen. Das seisein erster
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