Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
erwachsener, reifer und ernster als ihre
norwegischen Freunde.
»Vielleicht müssen wir bald weg von hier, Lillian.« Sie
sitzen in der Nähe der Trondenes-Kirche und schauen hinaus aufs Meer. Die Kirche
ist die nördlichste mittelalterliche Steinkirche Norwegens und liegt oberhalb
des Vågsfjordes, ein wenig außerhalb der Stadt. Lillian mag diese Stelle sehr.
Sie ist in dieser Kirche getauft worden. Aber die beiden sind nicht nur deshalb
so oft hier. Es gibt nicht viele Orte rund um Harstad, wo sich ein norwegisches
Mädchen und ein deutscher Soldat treffen können, ohne erkannt zu werden. Und
Lillian will auf jeden Fall vermeiden, dass ihre Eltern von diesen heimlichen
Treffen erfahren. Ach, wenn alles doch nicht so belastend wäre.
Und dennoch ist das, was Helmut gerade über den Abmarsch seiner
Truppe gesagt hat, alles andere als eine Lösung für Lillian. Sie bemüht sich um
einen sachlichen Ton. »Wo müsst ihr denn hin?«
»Das wissen wir nicht, aber es wird wahrscheinlich für mehrere
Wochen sein, weil eine größere militärische Übung stattfinden soll.«
Lillian hat plötzlich große Angst, dass ihm etwas passieren könnte,
dass er nie wieder zurückkommen wird. Sie drückt sich fest an ihn. Helmut
scheint sofort zu verstehen, was sie damit sagen will. »Für mich ist es auch
schwer, wenn ich mich jetzt von dir trennen soll. Und selbst wenn es nur ein
paar Wochen sind. Du bedeutest mir viel. Ich habe schon meinen Eltern
geschrieben, dass ich hier oben im Norden ein Mädchen getroffen habe, eines,
von dem ich immer geträumt habe, und dass sie ein Herz aus Gold hat.«
Jetzt muss Lillian doch lachen. »Aber Helmut, das ist zu viel Gutes
über mich!« Er küsst sie. »Meine Eltern wissen natürlich, dass du Lillian
heißt, aber für sie bist du nur Hun, weil ich ihnen geschrieben hab, dass
»sie« auf Norwegisch Hun heißt.«
»Ja, aber deine Eltern werden doch sicher denken, dass sich ein
norwegisches Mädchen besser nicht mit einem deutschen Soldaten treffen soll.«
Im selben Augenblick bereut sie diese Frage und setzt schnell hinzu: »Sie
werden denken, es kommt auf den Menschen an.«
Manchmal sind die Dinge nicht so, wie sie scheinen
Juni 1942
Immer, wenn sie sich mit Helmut getroffen hat, muss
Lillian zu Hause erzählen, dass sie bei Blanche gewesen ist. Bei Blanche, ihrer
besten Freundin. Und einer besten Freundin kann man auch die Sache mit Helmut
sagen. Aber es tut weh, wenn man die Eltern belügen muss.
»Hast du denn keine Angst, dass es irgendwann einmal entdeckt
wird?«, fragt Blanche eines Abends. »Du weißt, meine Mutter hasst die
Deutschen, und wenn sie erfährt, dass du dich mit einem Deutschen triffst, dann
will sie nicht mehr, dass du zu uns nach Hause kommst. Du weißt doch selbst, wie
schnell ein Gerücht in unserer kleinen Stadt die Runde macht.« Blanche hat
recht. Lillian weiß das. Aber Lillian muss ihre Liebe zu Helmut geheim halten.
So viel steht fest. Trotzdem fürchtet sie, dass bald alles auffliegen wird.
Doch es gibt etwas, was sie noch mehr beschäftigt, seitdem sie sich
in den jungen Mann verliebt hat, der eine Hornbrille trägt und so gar nicht wie
ein Soldat aussieht.
»Wie denkst du eigentlich über das, was ihr Deutschen hier macht?«,
fragt sie ihn am nächsten Abend. Sie haben sich diesmal im Wald oberhalb des
Trondenesveien verabredet. »Gestern hat meine Mutter erzählt, dass zwei Männer
aus Harstad erschossen worden sind. Sie sind von euch Deutschen umgebracht
worden, weil sie angeblich irgendwelche Informationen nach England geschickt
haben. Einer davon ist der Sohn von Frau Pettersen, unserer Schneiderin – sie
hat vor zwei Jahren das Kleid für meinen Abschlussball genäht und ist immer so
stolz auf ihren Sohn gewesen. Ich kenne Alf natürlich auch, er ist«, sie stockt
und fängt an zu weinen, »er war so ein lieber Junge, der nie jemandem etwas
Böses getan hat. Die arme Frau Pettersen, sie ist völlig verzweifelt, Alf war
ihr Ein und Alles. Mit seinem Geld hat er auch die Familie ernährt. Er hat für
die Firma Eriksen als Elektriker gearbeitet. Und deshalb hat er auch diesen
Auftrag für die Deutschen ausgeführt, in Ramsund, wo ihr die große
Festungsanlage baut.«
Jetzt sprudelt es nur so aus Lillian heraus. »Ich weiß nicht genau,
was passiert ist, aber offenbar hat ein anderer Norweger ihn überredet,
Zeichnungen von dieser Anlage für die Alliierten zu machen. Die hat er dann zu
Rechtsanwalt Per Spilling gebracht, der sollte es
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